Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei Speeddating für Senioren und Heidi 2.0 gefunden.
Jedes Jahr im März, wenn das Land unterm finalen Eispanzer erstarrt oder die ersten Krokusse hindurchblicken, zeigt unser Fernsehen, was es kann, wenn es mal können darf. Dann werden jene Preise verkündet, wofür eine Schar Medienkritiker wochenlang in den resopalgrauen Räumen des Grimme-Instituts kaserniert wurde. Das Ergebnis ist nicht nur die bedeutsamste, sondern womöglich einzig verbliebene TV-Trophäe von Strahlkraft. Am Mittwoch war es wieder so weit und doch irgendwie anders. Die 51. Auflage hat eine Renaissance jener Kunstform prämiert, die lange Zeit bisher konsequent unterschätzt wurde: Improvisation.
Gewonnen hat – neben dem erwarteten Sieg für den Tukur-Tatort: „Im Schmerz geboren“ – Jan Georg Schüttes furioses ARD-Experiment „Altersglühen“, wo alternde Schauspieler von Senta Berger bis Mario Adorf so überzeugend ohne Drehbuch Speeddating für Senioren darstellten, als wären sie alle echt einsame Herzen auf der Suche nach Geborgenheit. Aber auch die anderen Gewinner – „Bornholmer Straße“ im Bereich Fiktion etwa, „Die Anstalt“ als Unterhaltungsformat oder der verstörende Kriegsbericht „Die Kinder von Aleppo“ – waren jede Sendesekunde wert. Schade nur, dass Alexander Gentelevs Dokumentation „Putins Spiele“ leer ausging, die den Irrsinn von Sotschi beispielhaft beleuchtet und nun unterm Zusatz „Ein Jahr danach“ fortgesetzt wird.
Digitalisiertes Zappeln über die Alm
Ein Jahr vor der Adaption fürs Fernsehen sind wir hingegen mittlerweile bei jedem realen Ereignis, das nur ansatzweise Stoff für ein saftiges Melodram liefert. Es hat daher nur Monate gedauert, bis sich Nico Hofmann die Rechte am Skandal um Gustl Mollath gesichert hat, dessen Fall bayerischer Behördenwillkür von Raymond Ley (Anne Frank) mit Axel Milberg als Justizopfer verfilmt wird. Der zweite Megatrend des Fernsehens ist und bleibt allerdings die Neuauflage alter Stoffe, wie man derzeit am Remake von „Heidi“ erleben muss, die nun digitalisiert über die Alm zappelt. Fehlt nur noch, dass die Barbapapas reanimiert werden, jetzt, wo mit Talus Taylor auch der letzte Erfinder des Gegenentwurfs zur betonierten Moderne gestorben ist. Witzigerweise fasziniert er auch in der epileptischen RTL2-Gegenwart noch immer mehr Kinder als das neumodische Zeugs der Marke „Heidi“ 2.0.
Fernsehen 1.0 auf dem Medium 3.0 ist hingegen, was der Streaming-Dienst Netflix freischaltet: „Unbreakable Kimmy Schmidt“ von der famosen US-Komikerin Tina Fey über eine Frau (Ellie Kemper), die nach 15 Jahren in einem Sektenkeller die reale Welt entdeckt, wurde für den Kabelsender NBC produziert, läuft aber im Netz. Andersrum scheint es sich mit „Block B“ zu verhalten, der Donnerstag (21.15 Uhr) bei RTL in Serie geht. Die etwas härtere Version vom seligen „Frauenknast“ ist so banal und billig, als wäre es für einen drittklassigen Blog gemacht, weshalb sich jeder Vergleich zum Netflix-Vorbild „Orange is the new black“ ebenso verbietet, wie von der australischen Vorlage „Wentworth“.
Dann lieber ohne Schmunzeleffekt
Das wäre ja fast so, als würde man Florian Lukas als ulkigen Provinzbullen der ZDF-Reihe „Friesland“, deren zweiter Teil Mittwoch vorab auf dem Ableger Neo läuft, mit einem Vergleich zur famosen Nordseekrimireihe mit Hinnerk Schönemann als Finn Zehender adeln. Dann doch lieber traditionelle Krimis ohne Schmunzeleffekt, dafür mit Senta Berger als Eva-Maria Prohacek, die Freitag auf Arte (20.15 Uhr) erneut „Unter Verdacht“ verdeutlicht, dass vergleichbar konventionelle Verbrechensfälle wie dieser um dubiose Machenschaften im Pflegebereich ungeheuer sehenswert sein können, sofern das Drehbuch mit Hingabe geschrieben ist. So gesehen hätte auch die Autobiografie von Heike Dorsch, deren Mann vor ein paar Jahren während einer Weltreise verschollen ist, durchaus Anlass für einen guten Film abgeben können. „Blauwasserleben“ jedoch (Samstag, 20.15 Uhr, ZDF) ist von so einschläfernder Süffigkeit, dass ein Standbild vom Wellengang in der Südsee aufregender wäre.
Es gibt also nicht viel zu empfehlen diese Woche. Na, vielleicht „Futebol e vida“, Daniel Cohn-Bendits Roadmovie, in dem der Altlinke am Dienstag (20.15 Uhr, Arte) auf die Suche nach dem wahren Geist des brasilianischen Fußballs geht, was man sich vor einem Jahr gewünscht hatte, als alle nur dessen Oberfläche ankratzen wollten. Also geht’s direkt zu den „Wiederholungen der Woche“. In Schwarzweiß und immer wieder grandios: Wolfang Staudtes „Der Untertan“ mit Werner Peters als Heinrich Manns Patriot Heßling von 1951 (Montag, 23.40 Uhr, MDR). Und in Farbe: „Serpico, zweieinhalb Stunden früher auf Arte, mit Al Pacino als ehrlichem Bullen unter korrupten Kollegen anno 1973.
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden