Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei debile Nachfrageverweigerung und eine Schar Masochisten gefunden.
„Mona Lisa“, das muss hier kurz anerkannt werden, war mal ein seriöses Magazin aus der lässig feministischen Ecke. Und jetzt? Liefert es billigen Jubelperserjournalismus, der es schafft, dem umstrittenen Fernsehmacher Oliver Berben nicht eine kritische Frage zu stellen. Das ist auch deshalb von Belang, weil sich die ZDF-Sendung für Frauen mit ein paar mehr Interessen als Bauch, Beine, Po und Promis der ersten Geschlechtsgenossin in der Chefredaktion des „Spiegel“ nach fast 70 Jahren hätte widmen können. Doch nix da! Es ging wieder um Herzensgeschichten gefallener Fußballer und dufter Schauspieler.
Aber vielleicht war das ja auch eine rein journalistische Entscheidung, da sich Susanne Beyer den Posten der stellvertretenden Chefredakteurin mit gefühlt 183 Männern teilen muss, die nach und nach an die Spitze des Nachrichtenheftes rücken. Nicht, dass die da oben noch auf krumme Gedanken etwaiger Führungsaufgaben kommt… Und so war der parallele Wechsel des besten deutschen Feuilletonisten Nils Minkmar vom Main an die Alster am Ende doch die spannendere Meldung. Weil sie von der Relevanz des „Spiegel“ zeugt. Und vom Niedergang der konservativen „FAZ“.
Animateur statt Moderator
Den Konservativen Amerikas geht derweil ein Lieblingsfeind verlustig, seit der Late-Night-Talker Jon Steward nach fast 20 Jahren seinen Abschied von „The Daily Show“ verkündete, die zwar strikt humoristisch ist, aber grad fürs junge Publikum die wichtigste Informationsquelle seriöser Nachrichten. Ach, was hätte einer wie Steward hierzulande zu veräppeln gehabt, vorige Woche. Das debile Grinsen von Olaf Scholz vor allen Kameras nach seinem Hamburger Wahlsieg, die noch debilere Nachfrageverweigerung von Günther Jauch im Kuscheldiskurs mit dem russischen Botschafter zum Thema Ukraine-Krieg kurz darauf. Oder dass Hans Meiser, einst durchaus bedeutsamer TV-Moderator, als Animateur aufs „Traumschiff“ MS Deutschland geht und das allen Ernstes damit begründet, vieles sei halt „richtig schlecht“ geworden, was sein Medium derzeit zu bieten habe.
Neue Schmerzquellen
In dem Punkt müsste man ihm eigentlich recht geben, aber nicht rundum. Die anstehende Woche nämlich zeigt an den Rändern des eigenen Anspruchs, was richtig weh tut und was geradezu heilsame Kräfte hat. Fangen wir mal mit neuen Schmerzquellen (für die alten reicht der Platz nicht): Ab Montag schickt Big Brother John de Mol wieder eine Schar Masochisten unter permanente Kamerabeobachtung. Der holländische Medienmogul beteuert zwar, die 15 Bewohner von „Newtopia“ (Sat1, 19 Uhr) könnten in einer Brandenburger Hofruine eine neue Welt aufbauen. Tatsächlich werden sie aber wohl bloß die üblichen Zutaten des kommerziellen Voyeurismus verkochen. So wie die Beteiligten im „Game of Chefs“, das dienstags zur besten Sendezeit bei Vox Deutschlands größtes Kochtalent küren soll. Was mit Küche also. Irre Idee. So wie die, den abgedankten Kuscheltalker „#Beckmann“ tags zuvor im Ersten seinem Lehrberuf als Reporter (zum Auftakt: Irak) nachgehen zu lassen.
Irre? Idee? Apropos! Was man mit kreativem Aberwitz anstellen kann, zeigen am ARD-Mittwoch Ralf Husmann und Arne Feldhusen. Das genialste Paar heiterer Unterhaltung („Stromberg“) hetzt einem notorischen Hochstapler – fabelhaft dargestellt vom Burgschauspieler Michael Maertens – Charly Hübner als läppischen Provinzbeamten an den Hals, was zum denkbar lustigen Bürgerlichkeitscrash gerät. Eine irre Idee hatte auch Helmut Dietls Sohn David, als er Olli Dittrich als spießigen „König von Deutschland“ (Freitag, 20.15 Uhr, Arte) besetzte, der ohne es zu wissen von PR-Agenten zum Testkonsumenten herangezüchtet wird.
Irre, dämlich, wunderbar
Nicht ganz so irre, aber eine blendende Idee ist es, Ulrich Noethen ab Montag (ARD, 20.15 Uhr) in der Romanadaption „Neben der Spur“ sporadisch als Hamburger Psychiater Jo Jessen in skurrile Mordfälle zu verwickeln – was erneut zeigt, wie dämlich es vom Zweiten war, seinen genialen „Kommissar Süden“ nach zwei Folgen trotz Grimmepreis abzusetzen. Die Übertragung von dessen Verleihung wird übrigens gern in die Nacht von 3sat verschoben, während die kulturell belanglose, aber „Goldene“ Kamera Samstag mit der ZDF-Primetime geadelt wird. Und wenn Arnold Schwarzenegger tatsächlich Zeit hat, kriegt er eine fürs Lebenswerk. Weder irre noch dämlich, sondern einfach wunderbar ist dagegen Sarah Kuttner, die ab Donnerstag auf ZDFneo endlich wieder „plus Zwei“ talken darf, zum Auftakt der zehn Teile mit Antoine Monot Jr. und Bettina Wulf.
Blieben noch die „Tipps der Woche“. In schwarzweiß diesmal „Der große Diktator“, von und mit Charlie Chaplin als irrer Diktator Hynkel von 1940. Und in Farbe: „Der freie Wille“ (Sonntag, 0.05 Uhr, ARD) mit Jürgen Vogel als haftentlassener Vergewaltiger, der sich und sein Publikum an sämtliche physischen und psychischen Grenzen treibt.
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