Zwei Hamburger Fußballvereine kämpfen ums Überleben und werden trotz aller Rivalitäten ein wenig verwechselbarer, findet Jan Freitag.
Der erste Wintermonat war auch schon mal härter. Damals, gefühlt vor einer Ewigkeit, wurde Fußballfans die Zeit des Wartens auf den Rückrundenstart der Bundesliga gern mit beharrlichen Eispanzern auf dem Asphalt gedehnt. Während die Sonne für viele Wochen jede Heizkraft schlicht verweigerte, wärmte allenfalls die Erwartung des baldigen Anstoßes von innen. Schließlich ging es um etwas Messbares, wenn Ende Januar wieder gegen den Ball getreten wurde, der schon längst nicht mehr aus organischem Leder, sondern aseptischer Elaste war. Es gab Ziele. Meist hießen sie Aufstieg in obere Ligagefilde oder Einstieg ins internationale Geschäft. Hamburger Profialltag war irgendwie aussichtsstark.
Früher.
Jetzt jedoch kämpfen die zwei Vorzeigeclubs ums nackte Überleben. Nicht mehr, nicht weniger. Und auch wenn die Perspektive am Rande der Reeperbahn stets eine andere war als an jener Stellinger Müllverbrennungsanlage, wo (FC) St. Paulis Partydreck allwöchentlich in Rauch aufgeht – irgendwie gingen beide einigermaßen aufrecht durchs Ligaleben. Nicht grad Seite an Seite, aber zusehends ein bisschen verwechselbarer.
Längst auf Augenhöhe
Vom „etwas anderen Verein“ am Millerntor war dank Littmann, Abriss, Neubau, VIP-Logen und Upsolut nur noch ein nostalgischer Restbestand an Dissidenz geblieben, während die unverwüstliche Misswirtschaft das Selbstverständnis des mittelständischen Unternehmens HSV als gottgewollter Meister aller Klassen Saison für Saison ein wenig feiner pürierte. Man traf sich also auf ein schales Holsten im Keller der Wahrnehmbarkeit, leckte die Wunden verödeter Ansprüche, pflegte halbherzig die Rivalität, befand sich aber nicht nur sportlich längst auf Augenhöhe.
Doch nun wehen Winde, die dem beiderseitigen Selbstverständnis auf die Beine hilft wie ein Altenpfleger bettlegrigen Demenzpatienten. Und sie heißen weder Scirocco noch Passat, geschweige denn Föhn, sondern Ewald Lienen und Klaus-Michael Kühne. Ersterer, Trainer von Beruf, scheint seinen neuen Arbeitgeber am Kiez mit dem Schwung einer linksradikalen Biografie aus dem Sumpf schleichender Belanglosigkeit zu ziehen. Letzterer dagegen, reich von Beruf, scheint knallt seinem alten Spielzeug mit pockennarbigem Kapitalistengrinsen die ungeschriebene Regel des Milliardenbusiness vor den Latz. Sie lautet: Gefühle ohne Gegenleistung gibt’s nur von deiner Mudda.
Das Tor in die Realität
So werden der Hamburger Speckgürtel Verein und sein kleiner Rivale aus dem Innenstadtviertel von zwei Alphatieren im Rampenlicht geerdet: Wenn Ewald Lienen vorm ersten Heimspiel den eingesprungenen Emotionssalto mit erhobener Trotzkistenfaust vollführt, gibt er dem FC ein Quäntchen jener soziokulturellen Behaglichkeit zurück, die den Totenkopf vor gut einem Vierteljahrhundert zur weltweit verkäuflichen Marke machte. Klaus-Michael Kühne dagegen tritt seinem Besitz mit der vollen Breitseite kapitalistischer Verwertungslogik vors Schienbein, wenn er ihm infolge mangelnder Huldigung das zugesagte Taschengeld entzieht.
Gut, weder der neue Trainer mit der altlinken Vergangenheit noch die frische Diskrepanz zum Stadtrivalen macht St. Pauli bereits zum alternativen Wiedergänger der hafenstraßenrotschwarzfunkelnden Jahre. Aber ein bisschen bewegter kann man sich von ihm nun wieder fühlen. Zumindest, bis die Winterpause das Tor in die Realität aufstößt. Und dort ist es kalt. Eiskalt. Jedenfalls kaum wärmer als beim HSV.
Jutta
18. Januar 2015 at 22:59
Man traf sich also auf ein schales Holsten im Keller der Wahrnehmbarkeit, leckte die Wunden verödeter Ansprüche, oh Schwulst lass nach.