Bei vielen Projekten in der Stadt wollen die Bürger vor allem eins: Mitreden. Daran, dass Planbuden genau das ermöglichen, glaubt Jan Freitag nicht – dann doch eher an den Weihnachtsmann.
Plan und Bude sind im Grunde Gegensätze. Baulich besticht letztere schon dem Wortsinn nach, dass ersterer dabei eine eher marginale Rolle gespielt haben dürfte. Und beruflich folgt die Arbeit in einer, etwa mit Los- davor auf dem Dom, auch nicht zwingend einem durchgetaktetem Lebensentwurf. Planbuden klingen also nicht nur überambitioniert, sie sind es in der Regel auch. Man kann das gut an der Rindermarkthalle sehen.
Während ihrer Entstehungsphase stand davor monatelang das, was bewusst strukturfern Planbude hieß. Auf kleine Kuben verteilt sollte sich das Anspruchsdenken der Anwohnenden in Bezug aufs entstehende Einkaufszentrum artikulieren. Das war eine gute Idee. Es traf sogar auf politisches Wohlwollen. Nur genützt hat es nichts. Soziale Initiativen sucht man Zwischen Budapester und Feldstraße vergebens. Konsequenz: Seit September regiert der Kommerz. Und das soll jetzt weniger kämpferisch als sachlich klingen.
Nahversorgung statt Ballast
Denn die Rindermarkthalle, Hand aufs Herz, liebe Fundamentaloppositionelle, sie ist ein Überraschungserfolg. Nicht wirtschaftlich; darüber wird der erste Kassensturz frühestens im Herbst 2015 Auskunft geben. Nein, atmosphärisch. Die 16.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sind eine Bereicherung fürs Viertel. Geshoppt wird darauf ziemlich viel Bedarf des täglichen Lebens und eher weniger Überfluss. Gut, knappe fünf Euro für ein belegtes Brot mit schickem Branding auszugeben, so dämlich kann auch nur das kreative Ameisenvolk der umliegenden Irgendwasmitmedienökonomie sein. Ansonsten aber wird hier notwendige Nahversorgung statt Ballast geboten, oft gar in Bioqualität. Und mit ein bisschen Wohlwollen könnte die flugs angerollte Skateboard-Szene als Vorbotin einer Art Marktplatz gedeutet werden, auf dem echtes Leben, statt billiges Parken stattfindet.
Allein: Geplant hat das niemand außer denjenigen, die unter Mischkalkulation allenfalls betriebswirtschaftliche Parameter fassen. Was nebenan lebt, wurde zwar zur Kenntnis genommen; gefragt wurde niemand. Und genau das wirft ein neongrelles Schlaglicht auf die Planbude vor den abgerissenen Esso-Häusern. Wer ernstlich daran glaubt, dass deren Ideen substanziell Eingang in die millionenschwere Aufwertung des Hochpreisareals findet, hält den Weihnachtsmann, dem zu Ehren die Rindermarkthalle zurzeit gefühlt 500.000 Watt Adventsbeleuchtung an die denkmalgeschützte Fassade klemmt, wohl für den unehelichen Sohn von Theo Albrecht und Frau Holle.
Stahlhelme und harmlosere Abgründe
Dennoch ist es ein gutes Gefühl, dass sie existiert. Die Planbude. Den Anschein des Anrainereinflusses zumindest offiziell aufrecht zu erhalten, könnte die Verantwortlichen vielleicht an den größten Scheußlichkeiten hindern, irgendwas zwischen Jeff-Coons-Gedächtnis-Kränen und tanzenden Cola-Dosen also. Die pure Existenz leibhaftiger Nachbarschaft reicht den Sachwaltern der Eventisierungsökonomie schließlich längst nicht mehr aus, um menschliche Gefühlslagen zu berücksichtigen; es muss schon etwas manifestiert sein. Präsenz, Aufbegehren. Wo beides fehlt, passiert dann nämlich das, was die andere Elbseite seit kurzem verschandelt.
Weil dort offenbar keiner mal eben die Pläne der Monsterhalle fürs „Wunder von Bern“ sehen wollte, sieht sie nun aus wie ein Stahlhelm. So erinnert uns das urdeutsche Landser-Utensil nun bei jedem Blick übers Wasser, dass Instinktlosigkeit noch zu den harmloseren Abgründen des hiesigen Bauwesens zählt. Wer weiß: womöglich hat das Planbudendasein der Rindermarkthalle somit eine Dachkonstruktion in Nackensteakform erspart und den Neo-Esso-Türmen Eiserne Kreuzgänge. In der Feier- und Mucialstadt Hamburg ist das schon eine Menge.
nbo
6. Dezember 2014 at 13:55
die rindermarkthalle ob ihrer atmosphäre als überraschungserfolg zu bezeichnen, ist gewagt. das innere strahlt den charme einer bahnhofswandelhalle aus. pate soll der mercat de la boqueria in barcelona gestanden haben – da muss man sich das lachen verkneifen. der mercat ist eine klassische markthalle mit 7 eingängen, die rindermarkthalle ein klassisches einkaufszentrum im ECE-stil, wo alles durch den hautpeingang geschleust wird (ach ja, einen parkplatz-eingang gibt es auch).
die planungswürfel vor der rindermarkthalle und die initiative der anwohner*innen trafen im übrigen gerade nicht auf politisches wohlwollen. schreiber und spriag haben sie links liegen lassen und den edeka-deal im alleingang eingetütet. ist alles gut dokumentiert.
es gibt reichlich leute in den umliegenden quartieren, die sich weigern, die rindermarkthalle zu betreten. leberwurstbrote für 5 euro sind nun wirklich das letzte, was st. pauli bereichert.
was die planbude am esso-häuser-areal anbelangt, möchte man dir, jan, mehr mut und phantasie wünschen.
und das wort „fundamentaloppositionelle“ mag ein rhetorischer kniff sein, der dir gefällt, hat aber mit der geschichte nichts zu tun. er ist ebenso blöde wie „wutbürger“. HH-mittendrin kann bei seiner guten arbeit sicher auf solche arroganten begriffe verzichten.
Jan
8. Dezember 2014 at 14:16
Liebe/r nbo, der Begriff „Fundamentaloppositionelle“ soll niemanden diffamieren, ernsthaft. Es geht mir nur darum, das Ergebnis der planbudenfrei erstellten RMH vorurteilsfrei zu begutachten. Ich BIN Anwohner, hätte mir etwas anderes an der Stelle gewünscht, bin allerdings der Meinung, es hätte viel viel schlimmer kommen können. Das ist in unserer Zeit manchmal schon tröstlich. Was die Esso-Häuser betrifft, will ich niemandem den Mut nehmen, aber ich bin einfach sehr skeptisch, dass dieses Filetstück anderen als Profitinteressen dienen könnte. Aber bitte: überrasch mich, Geldgeile und Abrissstadt Hamburg!
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