Ob im Sportverein oder in der Flüchtlingshilfe: Das Ehrenamt ist eine wichtige Stütze der Gesellschaft. Doch die staatliche Anerkennung für die freiwilligen Helfer ist zu gering, findet Klaus Wicher vom Sozialverband. Sein Vorschlag: Eine „Ehrenamtskarte“. Was sich dahinter verbirgt – und was die Politik noch tun kann, erklärt Wicher im Gespräch mit Mittendrin.
Herr Wicher, dem aktuellen „Freiwilligen-Survey“ zufolge steigt die Bereitschaft zum Ehrenamt in Hamburg. Beobachten sie das auch?
Wicher: Das kann ich so nicht bestätigen. Viele Menschen sind heute zwar bereit, sich zeitlich begrenzt und projektbezogen zu engagieren. Sie wollen sich nicht fest an eine Institution binden, möchten auch wieder aussteigen können. Doch ob in Vereinen oder sozialen Bewegungen, oft ist gerade die kontinuierliche Arbeit von Ehrenamtlichen gefragt, um auf lange Sicht etwas bewegen zu können. Und Menschen zu diesem langfristigen Engagement zu bewegen wird leider immer schwieriger. Natürlich gibt es auch in Hamburg viele Ehrenamtliche, die sich seit Jahrzehnten engagieren – aber das ist leider nicht die Regel.
Warum sollten sich Menschen heute ehrenamtlich engagieren?
Wicher: Ganz einfach: Weil viele öffentliche Aufgaben ohne Freiwillige in unserer Gesellschaft gar nicht mehr zu bewältigen wären. Ohne Ehrenamtliche würde etwa das gesamte Prüfungswesen in der Berufsausbildung in sich zusammenbrechen – denn die Mitarbeit in Prüfungs- und Berufsbildungsausschüssen übernehmen Fachleute, die unentgeltlich arbeiten.
In welchen Bereichen ist das Ehrenamt besonders gefragt?
Wicher: Etwa in Sportvereinen – aber auch in vielen anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsfürsorge, etwa in der Betreuung alter oder pflegebedürftiger Menschen. Da kann schon durch einfache Nachbarschaftshilfe viel bewegt werden, etwa indem man Lebensmittel oder Medikamente besorgt, oder man sich ganz einfach Zeit für seine Mitmenschen nimmt.
Viele soziale Vereine arbeiten heute fast ausschließlich mit Ehrenamtlichen – wie ist das beim Sozialverband SoVD?
Wicher: Ohne das Ehrenamt könnten wir unsere Aufgaben niemals erfüllen. Das Verhältnis der hauptamtlich Tätigen gegenüber den Ehrenamtlichen liegt bei etwa 1 zu 40. Da wir uns aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren, können wir leider nicht mehr Personal einstellen. Dabei fällt stets viel Arbeit an: Infoveranstaltungen organisieren, Referenten einladen, Protokolle schreiben, Themenagenden erstellen, Öffentlichkeitsarbeit – ein Großteil dieser Aufgaben wird von Ehrenamtlichen übernommen.
Was kann die Politik tun, um ehrenamtliches Engagement zu fördern?
Wicher: Etwa Berufstätigen die Möglichkeit geben, für ihr Ehrenamt vom Job freigestellt zu werden. Wenn jemand eine kranke Person betreuen muss, lässt sich das schlecht im Voraus planen. Bisher haben Arbeitgeber das Recht, ehrenamtliche Arbeit zu untersagen. Eine Ausnahme bilden zum Beispiel Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, die für Einsätze und Fortbildungen freigestellt werden müssen. Hier muss der Staat stärker auf Unternehmen einwirken. In öffentlichen Behörden und Ämtern kann der Staat selbst ein Zeichen setzen und Angestellten und Beamten, die ehrenamtlich tätig sind, stundenweise freigeben – schließlich geht es darum, wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens durch Engagement sicherzustellen. Und das liegt doch im Interesse von uns allen.
Sie schlagen außerdem eine „Ehrenamtskarte“ vor – was verbirgt sich dahinter?
Wicher: Eine Ehrenamtskarte für regelmäßig ehrenamtlich Engagierte wäre eine sichtbare Wertschätzung von gesellschaftlichem Engagement und zugleich eine Vergünstigungskarte: Sie gilt bei Kooperationspartnern, gewährt Preisnachlässe und vergünstigten Eintritt etwa in Schwimmbädern, Museen oder bei Kulturveranstaltungen. In Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern gibt es diese Karte bereits – wir halten diese Maßnahme für eine sehr gute Idee.
Wie hoch ist das Risiko, dass der Staat das Ehrenamt ausnutzt, um eigene Aufgaben in der öffentlichen Daseinsfürsorge kostengünstig auszulagern?
Wicher: Eines ist klar: Ehrenamtliche Arbeit kann staatliche Aufgaben nur ergänzen und darf diese niemals ersetzen. Deutlich wird das etwa in der Flüchtlingsarbeit: Es ist gut, dass ehrenamtliche Helfer aus der Nachbarschaft die große Not in Flüchtlingsunterkünften lindern. Aber auch hier bedarf es Menschen mit besonderer Qualifikation, etwa mit speziellen Rechtskenntnissen oder sozialpädagogischer Grundausbildung, da dies ehrenamtliche Helfer nicht immer mitbringen. Der Staat muss für professionelle und stabile Unterstützung sorgen.
Was können ehrenamtliche Initiativen tun, um nicht zum reinen „Lückenbüßer“ für den Staat zu werden?
Wicher: Freiwilligenarbeit ist nicht selbstverständlich, das muss klar sein. Darum setzen wir uns dafür ein, dass das Ehrenamt von politischer Seite gestärkt wird. Außerdem ist es möglich, durch ehrenamtliche Projekte auch politische Impulse zu setzen, die der Staat dann aufnehmen muss. Ein Beispiel ist die Arbeit berufsbegleitender „Coaches“, die Jugendliche beim Einstieg ins Arbeitsleben unterstützen sollen, und die Suchthilfe – diese Funktion übernahmen auch Ehrenamtliche. Da der Bedarf einfach da ist, muss auch hier professionell und dauerhaft geholfen werden.
Wie sehen sie die Möglichkeiten für ehrenamtliches Engagement in Hamburg?
Wicher: Mit den Freiwilligenagenturen und der Engagement-Datenbank eAktivoli gibt es viele hilfreiche Anlaufstellen für Interessierte. Am Anfang gilt es ja, viele Fragen zu klären: Wo kann ich mich engagieren, was liegt mir und entspricht meinen Fähigkeiten, wie viel Stunden pro Woche kann und müsste ich investieren? Da ist es immer gut, sich erstmal zu orientieren. Seit einigen Jahren beschäftigt sich auch die Politik mehr mit dem Thema, das ist schon ein Zeichen der Wertschätzung – doch warme Worte reichen nicht: Die Politik muss deutliche Zeichen setzen und freiwilliges Engagement auch praktisch wertschätzen und unterstützen.
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