Wildplakatierung als Feindbild der Stadt Hamburg. Jan Freitag über die bürgerliche Sauberkeitsnorm und die Nachteile der Hochglanzwerbung hinter Plexiglas.
Nein, Taubenschiss-Tunnel ist kein schöner Name für eine Unterführung. Und doch sagt fast niemand korrekt Lessingtunnel zur Durchfahrt am Güterbahnhof Altona. Warum auch – statt Literatur gibt’s dort neben Autos, Autos, Autos und ein paar furchtlosen Radlern nur Vogeldreck. Mehr nicht, nicht mal Plakate, aus einem Grund, den Hamburg offenbar exklusiv hat: Wird wild plakatiert, macht die Stadt dafür nicht Plakatierer verantwortlich, sondern auch das Plakatierte, was besonders die Musikszene trifft.
Angesichts der Beweispflicht für Rechtsverstöße, deren Urheber zweifelsfrei ermittelbar sein müssen ist das zwar reine Willkür – Robin Wood, das wegen einiger Aufkleber gegen das Kohlekraftwerk Moorburg zu einer Geldstrafe verdonnert wurde, kann davon ein Klagelied singen; doch wer allen Ernstes eine Zentralstelle Wildplakatierung unterhält, hat sich eben ein Feindbild gebastelt, das die gesamte City prägt: Was darin von der bürgerlichen Sauberkeitsnorm abweicht, alternativ wirkt und keinen Profit verspricht, wird kriminalisiert.
Bürokratisches Plakatieren mit Folgen
Deshalb wird nicht nur der Bezirk Mitte längst von etwas vermeintlich Ordentlichem, augenscheinlich jedoch Entstellenden dominiert. Und es ist kein Wunder, dass die bürokratische Version des Plakatierens nach einem Blutsauger benannt ist, der beim Opfer mindestens Juckreiz auslöst: Moskitos. Diese Aluminium-Rahmen finden sich nämlich nicht nur flächendeckend an städtischem Besitz wie Stromkästen. Sie hängen auch an zahllosen Privatgebäuden, deren Besitzer sich damit die Nase vergolden. Hinter leblosem Plexiglas wirbt das rechteckige Stechtier für alles vom Hitparadenpop bis zum Konsumprodukt, von den Fantastischen Vier bis Holsten Bier. Was sich die Rahmenmiete eben leisten kann (will (mag)).
Zusammen mit beleuchteten Litfasssäulen und Haltestellenscheiben sowie all dem, was in glitzerndem PR-Sprech City- oder Mega-Light-Boards genannt wird, gerät der Wohnort Innenstadt immer aufdringlicher zum gigantischen Werbeblock für die Interessen stromlinienförmiger Stampfkultur. Was dabei unter die Räder kommt, ist naturgemäß die Kultur unterhalb der Oberfläche. Kleine Clubs etwa, die allenfalls übers Bier ab und an mal ins Quartalsplus rutschen, fehlt naturgemäß das Geld für derart präsentes Marketing. Wer dagegen mit Moskito oder MLB für die großen Hallen und Majorlabelblockbuster wirbt, braucht gemeinhin gar nicht zu werben, sondern tut es eher zur Popularitätsverfestigung.
Der Graben zwischen Kommers- und Subkultur
So trägt diese einst so liberale Stadt über sein restriktives lebensfernes, hyperpenibles, hochglanzaffines Plakatierungsverbot nach regionalem Wirtschaftsrecht dazu bei, dass der Graben zwischen Kommerz- und Subkultur tiefer und tiefer wird. Dass abweichenden Meinungen zusehends Platz zur Entfaltung fehlt. Dass Hamburg immer strikter nach Renditekriterien – wie es so schön wohnzimmerakkurat heißt: „möbliert“ wird. Während also, sagen wir, an der Clemens-Schulz-Straße unweit der Reeperbahn reihenweise gleichförmiger Aushänge für die nächste Grönemeyer-Tour oder banale Singspiele für Busreisende aus den Altenheimen der Republik sorgen, bleibt alternativer Kunst nur die Hoffnung aufs virale Marketing der eigenen Fans.
Und der Taubenschiss-Tunnel? In dem wird man seit der Haftbarkeitsänderung zulasten der Verantwortlichen im Sinne des Presserechts seit einigen Jahren nicht mehr durch Myriaden quietschbunter Hinweise darauf von der Tristesse abgelenkt, was die Stadt jenseits von Musicals, Westernhagen, Trallalla zu bieten hat. Sondern durch Autos, Autos, Autos. Ach ja – und Vogeldreck.
Foto: Jan Freitag
Harald
12. November 2014 at 23:09
Was diese Kolumne und seine Grammatik angeht, bin ich nicht ganz einverstanden, bezüglich dieser Stadt und ihrem Plakatierungsverbot stimme ich aber voll und ganz zu.
ichoderdu
23. November 2014 at 16:15
Artikel vor dem veröffentlichen nochmal zu lesen wäre vielleicht ganz gut.