Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei jede Menge Toleranz und Irrwitz gefunden.
Tatatatusch! Mit viel Glamour, reichlich Helene Fischer und einem Höchstmaß an Gefühlsduselei wurde Donnerstag live im Ersten der Bunte, pardon: Bambi verliehen und die Gewinner sind … längst egal. Irgendwie bedeutsam waren sie ohnehin nur im Moment des Überreichens, wenn ergriffen Überreichende ihren Wert auf Friedensnobelpreisniveau gejazzt haben. Interessanter als die Tatsache, dass ein Schmierseifenvertreter wie Francis Fulton-Smith für diese Trophäe nur einmal in seinem Karriere etwas (nämlich Franz-Josef Strauß in „Die Spiegel-Affäre“) einigermaßen anständig machen musste, ist also weniger, wer das äußerlich vergoldete, innerlich wertlose Waldtier für was auch immer künftig in die Vitrine stellen darf, sondern dass „Die Bergretter“ parallel im ZDF mehr ältere Zuschauer fanden als die Werbeshow fürs Klatschmagazin aus dem Hause Burda. Von jüngeren ganz zu schweigen, die sich lieber ein Casting auf Pro7 ansahen als Entertainment ihrer Urgroßeltern.
Die ARD und die Toleranz
Aber vielleicht sollten wir mal Toleranz walten lassen. Toleranz mit dem Anspruch Anspruchsarmer ans Leitmedium. Toleranz mit deren Bedürfnis, nach Feierabend daheim oder Kaffee im Seniorenstift, Dinge regelprogrammiert zu kriegen, die den kriselnden Erdball für zwei Stündchen vor der Rüschengardine lassen. Toleranz, dieses spießbürgerliche Wort zähneknirschenden Erduldens statt vorbehaltlos Akzeptierens wird schließlich größer geschrieben als sonst dieser Tage. Die ARD feiert ja samt ihrer Nebenkanäle „Woche der Toleranz“.
Darin könnte sie nun Toleranz für eine zugehörige Plakatkampagne einfordern, die alles, was es im Sinne des Schwerpunkts zu Tolerieren gilt, erst recht der Ignoranz Intoleranter aussetzt. Was der Blogger Teilzeitnerd wunderbar persifliert, indem er fragt, ob man da nicht auch um Toleranz für Holocaust-Leugner bitten könnte. Oder sagen wir: Wladimir Putin, dessen Pressegesetze so pressefeindlich sind, dass sich CNN nach 34 Jahren bald aus Russland zurückzieht. Aber egal, ob man Schwarze nun als „Belastung oder Bereicherung?“ empfindet und Schwule als „normal oder nicht normal?“ – an sich bereichert die Woche seit Samstag durchaus die Debattenkultur.
Toleranz, Holzhämmer und Erhellendes
Wäre das, was zu den Topsendezeiten gezeigt wird, nur nicht oft so piefig. Etwa wenn Christiane Hörbiger Montagabend den verhassten Roma nebenan im ARD-Film „Bis ans Ende der Welt“ erst dann leidlich akzeptiert, als er sein musikalisches Talent offenbar und somit belegt, dass man sich Toleranz in diesem Land mit Leistung erarbeiten muss. Oder wenn uns zwei (selbst)betrügerische Freundinnen am Freitag im ARD-Melodram „Die Sache mit der Wahrheit“ per Holzhammer einbimsen, dass ehrlich doch am längsten währt. Dazwischen gibt es zwar durchaus erhellende Dokus wie „Jenseits der Toleranz“ über entlassene Kapitalverbrecher und ihre Isolation in Freiheit – allerdings meist zu später Stunde, in diesem Fall Montag um 23.15 Uhr (ARD). Den Höhepunkt gibt es dann aber wieder zur Primetime: „Das Ende der Geduld“, wo Martina Gedeck am Mittwoch die echte Jugendrichterin Kirsten Heisig bis zum Selbstmord so wahrhaftig spielt, dass über Toleranz wirklich neu gedacht werden muss.
Das hat auch Adnan Maral (bekannt als Vater aus „Türkisch für Anfänger“) getan, als er für seine ARD-Reportage auf die Suche nach „Gewalt im Namen Gottes“ ging, wobei damit Sonntag vor der „Sportschau“ natürlich islamistische gemeint ist. Doch wie der türkisch-deutsche Schauspieler das umsetzt, ist auch jenseits der Toleranzwoche sehenswert. Wie das, was Arte seit Sonntag im jährlichen Filmfestival zeigt. Alles Sehenswerte aufzulisten, würde den Rahmen sprengen. Hervorzuheben ist aber die deutsch-französische Comic-Verfilmung „Huhn mit Pflaumen“ (Dienstag, 20.15 Uhr) über einen rasend lustigen Iraner, der sich nach dem Verlust von Frau und Geige noch sieben irrwitzige Tage zum Leben gibt.
Tipp der Woche
Wobei Irrwitz ein guter Übergang zum irrwitzigsten Film der hiesigen Filmhistorie ist: „Fraktus“, der Samstag (21.35 Uhr) als Teil des Arte-Schwerpunkts „Godfathers of Techno“ läuft, zwei Stunden später ergänzt um die Reportage „Sound of Belgium“, die das Nachbarland als Keimzelle repititiver Musik zeigt. Und Donnerstag widmet 3sat dem Irrsinnigen Quentin Tarantino ab 22.35 Uhr unterm „Kennwort Kino“ ein Porträt, gefolgt von seinem Meisterwerk „Jackie Brown“.
Stichwort Meisterwerk: Den schwarzweißen „Tipp der Woche“ bildet Montagmitternacht „Das Blumenwunder“, in dem der deutsche Regisseur Max Reichmann 1925 pflanzliches Wachstum in Zeitraffer nachtanzen ließ. Der farbige Wochentipp dagegen ist von 2012: „The Deep“ (Dienstag, 20.15 Uhr, ServusTV), ein isländisches Drama um den realen Fischer Gulli, der vor den Westmännerinseln kentert und überlebt.
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