Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und dabei einen Schmunzelkrimi, aber keine Konkurrenz für Netflix gefunden.
Am Dienstag war es so weit: Mit Netflix ging ein Film- und Serienportal online, das Fernsehen ernsthaft Probleme bereiten könnte. Und das liegt weniger am duften Eröffnungsfest, das der amerikanische Streamingdienst in Berlin mit Stars und Sternchen, Superessen und Superstimmung gefeiert hat. Es liegt auch nicht unbedingt an den technischen Möglichkeiten, die endlich untertitelte Importserien im Original erlauben. Nein, leicht macht es dem flexiblen Emporkömmling, was ihm die linearen Platzhirsche zur allerbesten Sendezeit so entgegen zu setzen haben.
Um 20.15 Uhr zeigte etwa die ARD an jenem Abend „Mord mit Aussicht“, was längst zum Schmunzelkrimi vergilbt. Das ZDF lobhudelte Prinz Harry als „wilden Windsor“. RTL wiederholte mal wieder „Bones“, Sat1 ein ödes Drama mit Anwältin im Rollstuhl. Und bei Pro7 machten „Two and A Half Men“ die gleichen Witze. Zudem im Angebot: Restauranttester, Wohnungswechsler, Existenzgründer, „Tatort“-Retorten und eine tolle Reportage auf Arte, die kaum einer sah. Da hätte sich Netflix die Präsentation mit anschließender Megaparty in einem Opernhaus, wo alles „really awsome“ war, glatt sparen können. So erledigt sich das alte Glotzenangebot eher früher als später von selbst.
So wie das der Castingshow. Ihr nämlich hat RTL höchstselbst das Grab geschaufelt, indem der DSDS-Kanal nicht nur die neueste Version „Rising Star“ vorzeitig vom Sender nahm, sondern zugleich verkünden ließ, nach mehr als zehn Jahren sei der Bedarf nach derlei Gesangswettbewerben im deutschen Fernsehen „jetzt mal gedeckt“.
Bedarf noch ungedeckt
Gedeckt nannte Reinhold Beckmann voriges Jahr auch den Bedarf nach seiner gleichnamigen Talkshow im Ersten und kündigte seinen freiwilligen Rückzug an. Am Donnerstag steht der nun an, um Mitternacht ist nach den letzten 75 Minuten von 624 Sendungen Schluss. Und was die einen bedauern, sehnen die anderen im Grunde schon seit der ersten Ausgabe vor 15 Jahren herbei. Was man vom gefühligen Host von mehr als 2000 Gästen letztlich hatte, könnte vielleicht das Best-of im Anschluss belegen. Tatsache aber bleibt bei aller Distanzlosigkeit, die Beckmann Kuschelstunden oft zugrunde lagen, dass sich seine Befragten kaum einem Fragenden so öffneten wie ihm. Bedarf noch ungedeckt, könnte man da durchaus behaupten.
Bedarf seit 29 Jahren gedeckt, meinen dagegen viele Kritiker der „Lindenstraße“, deren Teilung in Hass und Liebe noch intensiver gepflegt wird als beim Strom deutscher Talkshows. 1985 als frühzeitig beschworene Totgeburt gestartet, feiert die Leistungsschau bürgerlicher Fernsehunterhaltung am Sonntag die 1500. Folge. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Das teilt die langlebigste Serie hierzulande mit dem Dauerbrenner Kindesmissbrauch. Die Fiktionalisierung keines anderen Deliktes steht abgesehen von Vatermord in einem so eklatanten Missverhältnis zur Realität. Urs Eggers ARD-Mittwochsfilm „Der Fall Bruckner“ müsste einem also schon vor Beginn um 20.15 Uhr auf die Nerven gehen – gäbe Corinna Harfouch darin nicht eine so unglaublich glaubhafte Jugendhelferin zwischen Fürsorge und Verleumdung.
Macht und Recht verwoben
In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch ein exzellenter Film aus Frankreich, den Arte am Freitag zeigt. Jean-Philippe Amars Adaption der Graphic Novel „Niemand weiß davon“ erzählt die Geschichte des Illustrators JB, dessen Freundin samt Kind HIV hat, was er nur in Comicform verarbeiten kann. Verarbeitung ist ein guter Übergang zur wichtigsten Dokumentation dieser Woche. Vier Tage vorm 34. Jahrestag, wagt sich 3sat heute abermals an die Aufklärung des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980. Längst weisen sämtliche Indizien und diverse Zeugenaussagen darauf hin, dass die gerichtlich festgestellte Einzeltätertheorie des vermeintlich verwirrten Gundolf Köhler ein Lügenkonstrukt auf Anordnung der CSU ist. Ein Wiederaufnahmeverfahren steht dennoch aus.
Das belegt auf erschreckende Weise, wie eng Macht und Recht gerade in Bayern verwoben sind. Wäre das Ganze nicht so lange her, „Die Anstalt“ könnte sich des Themas nochmals annehmen, wenn sie morgen im ZDF (22.15 Uhr) aus der Sommerpause kommt. Und wem all dies ohnehin zu politisch ist, kann sich ja mit dem „Tipp der Woche“ vom Alltag ablenken: ZDFkultur zeigt Dienstag ab 21.40 Uhr erst „Die Dinge des Lebens“, dann „Das Mädchen und der Kommissar“, zwei Meilensteine des französischen Kinos von 1970. Zweimal mit Michel Piccoli und Romy Schneider, dem Traumpaar jener aufregenden Tage.
Facebook
Twitter
Flattr
Google+
YouTube
Soundcloud
Paypal
Anmelden