Daumen hoch und los: Wenn Ole das Fernweh überkommt, bemalt er ein Pappschild und stellt sich an die Straße. 40.000 Kilometer hat der Tramper so bereits zurückgelegt. Im Gespräch mit Mittendrin verrät er Tipps – und erklärt, warum Trampen mehr bedeutet, als günstig von A nach B zu kommen.
Sommerzeit, Reisezeit. Während die Einen bei ihrer kleinen Flucht aus dem Alltag auf Bequemlichkeit und Entspannung setzen, wagen Andere den Aufbruch ins Ungewisse. Der Geographie-Student Ole Röntgen gehört wohl eindeutig zur zweiten Sorte: Rund 20 Mal im Jahr streckt der 28-jährige Hamburger den Daumen aus, wartet, dass ein Auto hält und wirft seinen Rucksack ins Wageninnere. Wenn sich dann die Tür schließt, ist das der Beginn einer neuen Anekdote. Und von denen gibt es viele – übers Trampen kann Ole lange reden, dabei klingt er bedächtig und leidenschaftlich zugleich.
„Wenn ich die Bahn nehme, weiß ich, wann ich ankomme und dass ich während der Fahrt ungestört bin. Beim Trampen fällt all das weg“, sagt er. „Doch gerade das Unvorhergesehene, dieser Ausbruch aus gewohnten Strukturen ist der besondere Reiz. Ich will nicht nur irgendwo hin, sondern schon auf dem Weg etwas erleben.“ Alles nimmt seinen Anfang im Sommer 2008, als Ole am ersten „Tramprennen“ teilnimmt, einer Art Tramping-Wettkampf auf Zeit, der noch heute unter der Schirmherrschaft der Trinkwasserinitiative Viva Con Agua steht und jährlich stattfindet. Eine spontane Aktion sei das gewesen, sagt Ole, gemeinsam mit sieben Fremden findet er sich an einer Raststätte wieder, spärlich ausgestattet mit einem Pappschild, guter Laune und einer Portion Neugierde. Elf Tage dauert die Reise damals bis zum Zielort in Spanien – bei der Erinnerung muss Ole grinsen: „Da war ich noch Anfänger, die gleiche Strecke bin ich im März in vier Tagen getrampt.“ Seitdem war er oft unterwegs – mal geht’s nach Berlin, mal nach Griechenland, ein anderes Mal ist Ole auf wackligen Straßen im Balkan unterwegs.
Aufeinanderprallende Lebenswelten – und eine Einladung nach Teheran
Es sind die sozialen Kontakte, die besonderen und skurrilen Begegnungen, die Ole am Trampen schätzt: „Man trifft spontan für begrenzte Zeit auf engem Raum aufeinander. Dabei entsteht eine besondere Dynamik, man ist viel offener – vielleicht gerade weil es bei dieser flüchtigen Begegnung bleibt.“ Und so sind es immer wieder die Menschen, von denen Ole berichtet: der redselige Fahrer, der sich als bekannter Filmproduzent entpuppt, der Vertreter eines rumänischen Landwirtschaftsverband, der über EU-Agrarpolitik diskutiert, der zwielichtige Ex-Knacki, der während einer rasanten Fahrt erzählt, warum er in seinem Leben „doch eh nix mehr zu verlieren“ hätte („da war ich echt froh, als ich aussteigen konnte“, sagt Ole). Offenheit und Toleranz sollte jeder Tramper mitbringen, findet der Student: „Gerade weil schon mal Lebenswelten aufeinanderprallen und ich Menschen mit sehr unterschiedlichen Ansichten kennenlerne, die mir im Alltag so nicht begegnen.“ Immer wieder habe er auch eigene Vorurteile revidieren müssen und Einblicke in andere Denkweisen bekommen.
An dieser Stelle erinnere ich mich selbst an ein Tramping-Erlebnis mit Ole: ein Wochenende im Winter, wir wollen nach Berlin, irgendeine Party steht an. Wir landen im schicken BMW eines iranischen Geschäftsmannes, der uns in den nächsten Stunden allerhand erzählt über sein Leben und ein Land, das wir bis dato vor allem mit Diktatur und Atomprogramm verbinden. Bei Kaffee und Kuchen zeigt der Mann uns schließlich gefühlte 350 Bilder aus seiner Heimat auf dem Laptop – Familienfeier, Grillparty, Picknick im Grünen. Als wir in Berlin ankommen, haben wir viele Eindrücke eines anderen Lebens im Kopf und eine Einladung nach Teheran in der Tasche. An den Rest des Wochenendes erinnere ich mich kaum, den Iraner habe ich noch heute genau vor Augen.
Mit der Pferdekutsche durch Rumänien
Dass gerade die gut situierten Geschäftsleute anhalten, sei nicht ungewöhnlich, sondern die Regel, sagt Ole: „Die sind viel alleine unterwegs und wollen Gesellschaft, haben meist ein sehr hohes Redebedürfnis“, sagt Ole. Und: „Diese erfolgreichen Topverdiener sind voll im Berufsleben eingespannt, aus dem sie aber nicht ausbrechen können – viele sehnen sich selbst nach einem Stück Freiheit. Die erzählen dann oft, dass sie früher auch mal getrampt sind – und auf einmal zeigt sich im Gespräch, dass man im Innersten doch ganz ähnlich tickt, nur in völlig verschiedenen Welten lebt“, sagt Ole und wirkt nun sehr nachdenklich.
Bei den Viva Con Agua-Tramprennen hat Ole bereits halb Europa durchquert. Dabei ist das Fahren per Anhalter längst nicht überall so verbreitet wie in Deutschland: „Das überrascht vielleicht, aber gerade in Südeuropa geht das Trampen eher schleppend voran. In Spanien und Griechenland mussten wir oft stundenlang auf die nächste Fahrt warten“, sagt Ole. Lange Zeit an einer Stelle festzusitzen, das sei anstrengend. „So richtig die Nase voll vom Trampen hatte ich aber noch nie“, so Ole. Am Ende ginge es immer irgendwie weiter. Gewisse Orts- und Sprachkenntnisse seien klar von Vorteil: „Eine Karte mit den Raststätten in der Umgebung ist ein Muss, Englisch, ein bisschen Spanisch und Französisch helfen auch weiter – aber notfalls kann man sich auch mit Händen und Füßen verständigen“, sagt Ole. In Osteuropa sei er viel schneller vorangekommen, als gedacht: „Da war ich dann auch mal in einer Pferdekutsche unterwegs oder saß hinten auf einem Lieferwagen.“
„Das Spannende ist die Ungewissenheit und Spontanität“
Trampen liegt im Trend – doch bei Fremden ins Auto zu steigen birgt immer auch ein Sicherheitsrisiko. „Es kommt schonmal vor, dass jemand sehr schnell fährt, Angst hatte ich noch nie“, sagt Ole. Dass Frauen lieber nicht allein reisen sollten, kann er bestätigen: „Da habe ich schon viele Geschichten gehört, einige Fahrer können auch mal aufdringlich werden.“ Generell gelte: „Immer dem eigenen Gefühl folgen, nicht überall einsteigen – und mit Anderen macht das Trampen ohnehin viel mehr Spaß“, so Ole. So wie beim Tramprennen. Dabei gehe es ihm jedoch „überhaupt nicht um den Wettbewerb“, sagt Ole. „Auf welchem Platz ich am Ende lande ist total egal. Das Spannende ist diese Ungewissheit und Spontanität, die das Trampen begleitet – und dass eine große Gruppe gemeinsam reist, sich immer wieder in Kleingruppen aufteilt, unterschiedliche Erfahrungen macht, am Ende des Tages aber wieder zusammen kommt und die Erlebnisse austauscht“, sagt Ole. Auch wenn sein Budget in Zukunft mehr erlaubt, will Ole beim Trampen bleiben: „Wer offen ist für neue Begegnungen, dem eröffnen sich viele neue Einsichten. Beim Trampen ist der Weg das Ziel – es ist egal, wie schnell man vorankommt, wichtig sind die Menschen, die man trifft.“
Vom 16. bis 30. August findet auch in diesem Jahr wieder ein Viva Con Agua-Tramprennen statt. Ziel der Reise ist diesmal Mazedonien. Wer dabei sein möchte, kann sich noch bis zwei Wochen vor Beginn des Rennens anmelden.
- Immer freundlich und höflich bleiben
- die besten Startpunkte im Online-Lexikon „Hitchwiki“ suchen
- einen Plan mit den Raststätten auf der Strecke dabei haben
- potenzielle Fahrer an den Raststätten ansprechen – keine Scheu haben!
- unter der Woche trampen, wenn die Pendler fahren – an Feiertagen sind Familien unterwegs, die haben selten Platz
- schweres Gepäck erstmal in den Hintergrund legen – wenn ein Fahrer angehalten hat, macht er selten einen Rückzieher
- mit Schild und Ortsangabe geht’s schneller
- Frauen sollten nicht alleine und in männlicher Begleitung trampen
- dem eigenen Gefühl folgen, nicht in jeden Wagen einsteigen
- gemeinsam trampen macht mehr Spaß!
Fotos: tramprennen.org, Ole Röntgen
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