Auf und davon: Unsere Redakteurin Carolin Wendt hat den Bezirk, die Stadt und Deutschland hinter sich gelassen und entdeckt gerade Israel. Auf ihrem Blog schreibt sie über ihre Erlebnisse. Beeindruckt von dem positiven Bild, das viele Israelis von Deutschland haben, hinterfragt sie heute, wie diese Beziehung zu stande gekommen ist.
Veröffentlicht am 10.06.2014
Israel und Deutschland sind ziemlich beste Freunde. Der Staat Israel wurde im Mai 1948 gegründet, die Bundesrepublik ein Jahr später. Damals herrschte Funkstille auf allen Ebenen: Es gab keine diplomatischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Beziehungen, keine gegenseitigen Besuche. Eine Einreise für Deutsche war so gut wie unmöglich. Und heute? Heute bin ich hier. Heute gibt es „Carolina Lemke, Berlin“ nicht in Berlin sondern in Israel. Und heute vertreten deutsche Botschaften Israelis in arabischen Ländern. Wie kam es zu diesem Wandel?
Ressentiments
Im Dritten Reich wurden die jüdischen Mitbürger in Deutschland enteignet, mussten horrende Summen an „Judenvermögensabgabe“ und „Reichsfluchtsteuer“ bei Emigration zahlen. Laut Schätzungen hatten die Juden in Deutschland ein Gesamtvermögen von 16 Milliarden Reichsmark, nur ein Viertel davon konnten sie ins Ausland retten. Als Konrad Adenauer 1952 mit dem (unglücklich gewählten Namen) „Wiedergutmachungsabkommen“ Zahlungen zur Entschädigung und Integration von Flüchtlingen versprach, wurde dies in Israel keineswegs mit offenen Armen begrüßt. Im Gegenteil, es gab heftige Proteste von links- und rechtsorientierten Israelis gegen das „Blutgeld“ ab. Und das, obwohl Israel wirtschaftlich am Ende war. In dem auf Landwirtschaft ausgerichtetem Land herrschte akuter Wassermangel, Inflation, und die Flüchtlingsströme wollten nicht enden. Allein in den ersten drei Jahren kamen über 260.000 meist Juden aus arabischen Ländern, die meist ihr gesamtes Hab und Gut zurück lassen mussten. Als in der Knesset über das Abkommen abgestimmt werden sollte, hielt der Anführer der rechtsgerichteten Oppositionspartei, Menachem Begin, vor Tausenden von Demonstranten eine Zorn erfüllte Rede: „Dies wird ein Krieg auf Leben und Tod. […] es gibt keinen einzigen Deutschen, der nicht einen unserer Vorväter getötet hat. Jeder Deutsche ist ein Mörder.“ Linksgerichtete Demonstranten brachen durch die Polizeiverriegelung der Knesset. Im Plenarsaal herrschte zwischen Tränengasdämpfen, zerbrochenen Glas und Steinen ein Durcheinander. Am Ende des Tages waren 92 Polizisten und 36 Personen verletzt. Der Widerstand gipfelte in einem Briefbombenanschlag auf Konrad Adenauer durch Mitglieder der ehemaligen zionistischen Militärorganisation Etzel. Bis heute gibt es Spekulationen, dass der spätere Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Begin Drahtzieher des Anschlags war (hier und hier; und das war weiß Gott nicht das einzige, was der Gute an Terror zu verantworten hatte). Alles was deutsch war, war in Israel unerwünscht. Niemand hätte ein deutsches Auto fahren wollen oder sich eine deutsche Waschmaschine in die Wohnung gestellt. Erst in den 70ern brachte ein Laden in Tel Aviv die erste deutsche Außenwerbung an sein kleines Geschäft an: Rittersport. Dennoch, gerade das Wiedergutmachungsabkommen führte langfristig zu einer Annäherung der beiden Staaten, da Deutschland seine Versprechungen zuverlässig und kontinuierlich erfüllte und damit einen Beitrag zum Aufbau des Staates leistete.
Fremde – Brücken – Freundschaft
1952 reiste der erste deutsche Student nach Israel, Mitte der 50ger Jahre begannen erste, wenige Studentengruppen Israel zu besuchen. Sie wirkten vor allem in Kibbuzim mit. Einreisen konnte nur, wer eine persönliche Einladung eines Israelis hatte. Aber welcher Deutsche kannte schon einen Israeli, und umgekehrt? Und nur wenige israelische Vereine und Kibuzim waren bereit Deutsche aufzunehmen. In der Knesset positionierten sich Politiker Ende der 50ger gegen die Durchführung von Austauschprogrammen. Die Austauschprogramme aber wurden von deutscher Seite ausgebaut, so begann auch „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (ASF) 1961 sein erstes Projekt in Israel. ASF ist eine deutsche Organisation, die heute vor allem Freiwilligenprogramme im sozialen und Bildungsbereich im Namen des Friedens und der Versöhnung vermittelt. „Beim ersten Projekt in Israel hat die deutsche Gruppe eine Schule mitaufgebaut.“, sagt Kathrin Ziemens, Landesbeauftragte von ASF in Israel. „Später haben sie vor allem in der Landwirtschaft der Kibbuzim mitgeholfen. Das war also reine körperliche Arbeit.“ Der persönliche Kontakt zwischen Israelis und Deutschen, die von Motiven der Versöhnung getrieben wurden, brachte einzelne auf beiden Seiten näher. Auch auf wissenschaftlicher Ebene gab es vereinzelte Kooperationen wie die zwischen dem Weizman Institut in Israel und einer Delegation der Max Planck Gesellschaft in Deutschland. Dies alles bevor es 1965 zu diplomatischen Beziehungen kam.
Zusammenarbeit
Und heute? Heute fahren Audi, Mercedes und Ford an mir vorbei. Im Hintergrund läuft „Supergirl“ von Reamonn. Eine Freundin fragt, ob ich übersetzen kann, was sie da eigentlich seit Jahren beim Waschen wählt: Pflegeleicht, Schonschleudern, bügelleicht. Heute ist Deutschland, vor allem Berlin für viele säkulare Israelis ein Synonym für Freiheit und Selbstverwirklichung. “ ‚Made in Germany‘ ist heutzutage ein Qualitätsmerkmal.“, sagt Grisha Alroi-Arloser, Geschäftsführer der Deutsch-Israelischen Industrie-und Handelskammer. So auch „Carolina Lemke, Berlin“. Carolina Lemke, Berlin prangert in Tel Aviv, Eilat, Tiberias an jedem zweiten Sonnenbrillengeschäft. Das Gesicht der Marke ist eine Blondine mit Sonnenbrille, natürlich, die deutscher nicht aussehen könnte. Die Designer Brillen haben Stil, aber kennt jemand „Carolina Lemke, Berlin“? Unwahrscheinlich. Die Blondine ist das israelische Supermodel Bar Refaeli und die Marke eine rein israelische Firma. Deutsch verkauft sich besser. In Jerusalem war letzten Monat das Künstler-Musik-Straßenfestival Musrara. „Mein Name ist Dorothy“ ertönte auf Deutsch aus einem Vorgarten. Auf der Leinwand lief ein Experimentalfilm, in dem die Protagonisten den Satz wieder und wieder wiederholten. Das war eine von vielen Installationen deutscher Künstler. Heute gibt es zahlreiche Kooperation in allen Feldern. „Wirtschaftlich ist Deutschland Israels wichtigster Handelspartner in der EU. Und der drittwichtigste in der Welt neben den USA und China“, so Alroi-Arloser. „Israel wiederum ist Deutschlands drittwichtigster Handelspartner im Nahen und Mittleren Osten.“ Das mag nicht bedeutend klingen, ist es angesichts der Konkurrenz Öl fördernde Staaten aber. Alroi-Arloser: „Israel punktet hier als Hightech-Land. Auch deutsche Firmen haben das erkannt, Unternhemen wie VW, Siemens und Henkel investieren in Israel.“ Der neuste Kauf: Axel Springer Digital Classified kaufte im Mai das Anzeigenportal Yad2 für 165 Millionen Euro. Nicht ohne, denn wer in Israel eine Wohnung, ein Sofa oder ein Auto sucht, nutzt Yad2 – und meist nichts anderes. Nicht nur ASF entsendet jedes Jahr Interessierte für 1-jährigen Freiwilligendienst in das jeweils andere Land. Mittlerweile nehmen jährlich über 3.000 Deutsche und Israelis an einem der zahlreichen Austauschprogramme teil. Wissenschaftliche Kooperationen gibt es unter anderem durch die „German Israeli Foundation for Research and Science“. Insgesamt 15 Nobelpreisträger in den Bereichen Medizin, Chemie und Physik haben vor oder nach Erhalt des Preises im Rahmen des Programmes geforscht. Und zu guter letzt… Eine Einreise für einen Urlaub ist problemlos möglich. Deutschland ist auf Platz vier beim Anteil ausländischer Touristen in Israel.
Ihr habt den Anfang von Caros Reise verpasst? Hier könnt ihr nachlesen, was sie bisher erlebt hat.
Hier geht´s zu Caros Blog.
Fotos: Carolin Wendt
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