Am Wochenende ist Schlagermove. Tausende Menschen werden sich dann erneut an den Landungsbrücken drängen, der Alkohol fließt in Strömen und die Musik… Für Marvin Mertens ein Grund, die Stadt zu verlassen.
Schlagermove also. Schon wieder. Es fühlt sich an, als sei erst gestern der 4652. Hafengeburtstag zu Ende gegangen – immerhin eine Großveranstaltung mit Tradition. Ob man nun ein Fan des Gedränges an den Landungsbrücken ist oder das Spektakel wie der Kollege Brück eher ablehnt – der Hafengeburtstag gehört zu Hamburg wie die Alster und die Elbe.
Aber der Schlagermove? Man könnte jetzt diskutieren, wann etwas zur Tradition wird. In diesem Jahr geht die grell-bunte Schlagerparade immerhin schon in die 18. (!) Runde. Doch mal abgesehen davon, dass ich wahrlich kein Fan von Schlagermusik bin – diese Art des Feierns liegt mir nicht. Ich erinnere mich noch gut an den Schlagermove im vergangenen Jahr. Ich fuhr in der S-Bahn aus Richtung Harburg und bemerkte schon nach drei Stationen, dass sich der Wagen mehr und mehr mit angeschwipsten Frauen in den Mittfünzigern füllte. Waren es zunächst nur zwei kleinere Gruppen, übertönte der kollektive Gesang schon nach zehn Minuten die Musik aus meinen Kopfhörern. Mir blieben noch zwanzig Minuten fahrt. Nur soviel vorweg: Es waren die längsten zwanzig Minuten meines Lebens.
„Superhupen!“
Eh ich mich versah, waren die Plätze um mich herum mit einer zehnköpfigen Gruppe munterer Frührentner besetzt. Die drei Walküren auf den Sitzen direkt neben und vor mir, die mit hautengen, neongrünen Aerobic-Klamotten ihre Zugehörigkeit zur Gruppe signalisierten, schwankten schon beim Einsteigen schrill kichernd in meine Richtung. Alle drei waren mit kleinen Piccolo-Flaschen bewaffnet, die in ihren prankenähnlichen Händen wie Spielzeuge aussahen. Als die Türen schlossen, stimmte die gesamte Gruppe ein Lied an – dessen Melodie ich zwar wegen des fehlenden Gesangstalents nicht erkennen konnte – dessen Text aber auf jeden Fall die Wörter „Auto“, „Superhupen“ und „Reparieren“ enthielt.
Die drei Damen wedelten mit überdimensional großen pinken Federboas im Takt, falls es in dem Lied so etwas gab. Eine erwischte mich im Gesicht. Ich hustete noch Stunden später rosafarbene Federn aus. Zwischendurch näherten sich immer wieder männliche Schlagermove-Kandidaten anderer Gruppen im Wagon und baggerten unter den bösen Blicken der Ehemänner plump an den drei Walküren herum. Die kicherten, schlürften ihren Sekt und ließen ihrerseits ebenso plumpe Bemerkungen fallen. Ich war in der Hölle. An jedem Bahnsteig füllte sich der Wagon mit weiteren Schlagerfans aus allen Altersklassen. Ganze Familienclans enterten nun die S-Bahn, es gab für mich keinen Weg hinaus.
„Hölle! Hölle! Hölle! Hölle!“
Endlich: S-Bahn Landungsbrücken. Auf einmal war ich allein mit den Federn, den Flaschen und einer alten, verängstigt dreinblickenden Dame. Es war, als würde mich die plötzlich herrschende Stille im Wagon verschlucken. Und dann ertappte ich mich dabei, wie ich ganz leise und zunächst nur unterbewusst, vor mich hinsummte: „Das ist Wahnsinn! Warum schickst du mich in die Hölle?“
An diesem Tag habe ich mir geschworen, in Zukunft die Stadt zu verlassen, wenn Schlagermove ist.
Foto: Fred [GFDL (http-::www.gnu.org:copyleft:fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http-::creativecommons.org:licenses:by-sa:3.0:)]
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