Jan Freitag hat sich durch den Fernsehdschungel dieser Woche gekämpft und auch in der Welt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ein paar Highlights entdeckt.
Wie tief die Fernsehshow nicht bloß gesunken ist, sondern versenkt wurde, zeigte sich vorige Woche in Gestalt zweier Frauen, die ihre Würde im Wortsinn an der Garderobe abgeben: Quasi unbekleidet stellten sich zur besten Sendezeit erst Michelle Hunziker, dann Helene Fischer auf öffentlich-rechtliche Bühnen – und es war grausam. Im ZDF-Fall Hunziker, weil „Die große Überraschungsshow“ inspirationsfreies Niveaufasten war, im ARD-Fall Fischer, weil die kreative Leere der Echo-Verleihung sogar noch von deren erbarmungswürdiger Inszenierung unterboten wurde.
News aus Karlsruhe
Man muss sich das mal vorstellen: Da sitzt fast alles, was die deutsche Massenkultur hergibt, in einer lichtdurchzuckten Multiplex-Halle und was passiert? Nichts! Keine Dramatik, Null Esprit, dazu ein Publikum, das zu jedem Live-Auftritt stoischer im Gestühl verharrte als Zecken im Baum, nebst der Siegerin Egli, die dann auch noch RTL für irgendwas dankte. So gesehen war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch, den politischen Anteil der ZDF-Gremien künftig zu limitieren, total hinfällig. Konservative Strippenzieher von Koch bis Edmund haben den „Staatsfunk“, vor dem der Erste Senat da warnte, schließlich längst als „Ballermannfunk“ verwirklicht.
Von daher ist die relevanteste News aus Karlsruhe das abweichende Votum von Richter Andreas Paulus. Warum Parteien und Regierung überhaupt beim ZDF mitbestimmen, sei ihm völlig schleierhaft. Statt also weiter „Regierungspolitik“ in den Fernseh- und Verwaltungsräten zu betreiben, forderte er deren komplette Reinigung von allen legislativen wie exekutiven Kräften. Aber wen herrschen lassen über Wesen und Gestalt des gebührenfinanzierten Programms? Jenes Publikum etwa, das der „Hebamme“ am Dienstag auf Sat1 eine Zuschauerzahl auf dem Niveau von Markus Lanz verpasste, erreicht nur vom Klosterinferno „Um Himmels Willen“? Dann lieber Roland Koch im Ratssessel; der liefert immerhin Realentertainment…
Championsleague und Sitcoms als Regelangebot
Und das kann man diese Woche vom Regelangebot wie üblich zu keiner Tageszeit zweifelsfrei sagen. Auch wenn eins davon ein Gütesiegel verdient: Der ARD-Mittwochsfilm, diesmal mit der Mobbing-Studie „Neufeld, Mitkommen!“, in der die famose Nebendarstellerin Christina Große endlich mal in der Hauptrolle glänzt. Besser über die Kompetenzen einzelner Sender gibt nur das Parallelprogramm Auskunft: Das ZDF zeigt in der Champions League, wie wenig Staatsauftrag mit wie viel Geld geht. Pro7 zeigt mit „How I Met Your Mother“, wie viel private Sendezeit mit zwei, drei Sitcoms gefüllt werden kann. RTL zeigt mit „Die 25 peinlichsten TV-Momente der Welt“, wie gut es sich dabei im eigenen Erbrochenen wälzen lässt. Sat1 zeigt mit „Die strengsten Eltern der Welt“, dass Auswurf auf allen Kanälen funktioniert. Und der der NDR zeigt mit „Wildes Deutschland“, wie man ihn mit etwas Sonnenschein als dickes Dessert verkauft.
Späte Highlights
Dann doch lieber Rohkost – nicht üppig, aber nahrhaft. So wie die Veganismus-Reportage „Da wird mir übel“, Donnerstag bei ZDFneo. Oder die heutige Nahost-Doku „Zwischen Hoffnung und Vorurteil“, bei deren Dreh ARD-Korrespondent Jörg Armbruster voriges Jahr angeschossen wurde. Und das ganze Salatbuffet wird Freitag von 19 Uhr bis in die Nacht serviert, wenn 3sat erst die Verleihung der Grimme-Preise überträgt und im Anschluss den Preisträger 2012 „Dreileben“ wiederholt, mit dem drei Regisseure auf geniale Weise die Jagd nach einem Serientäter variieren. Und um 23 Uhr sinniert einer davon (Dominik Graf) noch mit Kollegen in der WDR-Doku „Es werde Licht“ – 50 Jahre Grimmepreis“ darüber, was gutes Fernsehen bloß ist.
Er würde wohl nicht grad den Knastarzt nennen, eine RTL-Reihe, die hält, was der Titel androht. Schon eher dagegen „Kommissar Süden“ (Dienstag, 22.15 Uhr, 3sat), diesen seelisch wunden Ermittler, der 2009 zwar diverse Preise bekam, aber leider keinen dritten Fall, da dem ZDF die Quote nicht passte. Die generiert es lieber mit „Die Mütter-Mafia“ über reiche Vorstadtzicken, die Annette Frier am Sonntag parallel zum Brandenburger „Polizeiruf“ das Prekariat zur Hölle machen. Das ist so heiter bis harmlos wie vermutlich auch der so genannte Impro-Talk „Vier sind das Volk“, mit dem Wigald Boning und Gleichgesinnte am Freitag um elf Politiker in Gesprächsrunden imitieren.
Geradezu saukomisch und doch bedeutsam ist dagegen der „Tipp der Woche“, Dienstag bei Sat1: „Almanya“, wo Nick Tschillers Assi Fahri Yardim zeigt, wie lässig man deutsche Immigrationsgeschichte erzählen kann.
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