Auf und davon: Unsere Redakteurin Carolin Wendt hat den Bezirk, die Stadt und Deutschland hinter sich gelassen und entdeckt gerade Israel. Auf ihrem Blog schreibt sie über ihre Erlebnisse in einem Land, dass fremd und vertraut zugleich scheint.
„Where are you from?“, ist die häufigste Frage, die ich in der letzten Woche gehört habe. „Germany, Hamburg.“, sage ich dann. Es wird wissend genickt, Hamburg kennt man auch hier in Israel. Ich bin also Hamburgerin, 28 Jahre und wohne seit einer Woche in einer WG in Jerusalem. Vor drei Monaten bin ich noch in Hamburg aufgewacht, habe mich auf den Weg zur Arbeit in die S3 und U3 gedrängt, um dann zum Uni-Klinikum Eppendorf zu laufen. Nun bin ich hier und habe vor für mindestens ein halbes Jahr, vielleicht auch länger zu bleiben.
Während meines Urlaubs im letzten Jahr bin ich zum ersten Mal in Israel gewesen, zum Wandern in den Golan-Höhen, der Negev-Wüste, um Städte wie Tel Aviv oder Nazareth zu besuchen und die palästinensischen Autonomiegebiete. Aus Lust am Reisen und aus Neugier dieses konfliktreiche und medienpräsente Land kennenzulernen hatte ich mich auf den Weg gemacht. Dass ich einmal hierher ziehen und die hebräischen Buchstaben und die Sprache lernen würde, damit habe ich nicht gerechnet… aber wo die Liebe hinfällt… bei mir fiel sie nach Israel. Nun versuche ich das Netz der Sicherheit in Deutschland für einige Zeit zu verlassen und den Alltag hier mitzuerleben.
Busfahrer, die nicht anhalten, Marktschreier, die ihren Namen noch alle Ehre machen, bröckelnde Wände im Schlafzimmer, Soldaten, orthodoxe Juden, die auch im Hochsommer schwarz gekleidet durch die Straßen gehen – wer Lust hat, das Leben in Israel aus Sicht einer Hamburgerin mitzulesen und zu sehen, ist herzlich willkommen, meinem Blog zu folgen.
Teil I: Am Anfang
Ich sitze am viel zu niedrigen und kleinen Schreibtisch, durch das offene Balkonfenster kommen Sonnenstrahlen und Vogelgezwitscher. Nebenan unterhalten sich Arbeiter auf Arabisch. Sonst Ruhe und Wärme. Könnte ein Sommertag in Hamburg sein. Ist es nicht, es ist ein Wintertag in Jerusalem.
Nun, heute bin ich seit einer Woche hier, und wollte es mal versuchen, mit dem Bloggen. Frisch eingezogen in die WG, die Küche a mess, das Zimmer anfangs auch, nach einigem Auf- und Einräumen ist es wirklich schön. Die Suche nach Essen und einem Job oder zumindest einer Freiwilligenarbeit haben mich bisher zum Mahane Yehuda Market, zur Freitagsschule für deutsch-sprechende Kinder, zur interfaith encounter association, zum Goethe-Institut und Psychotraumazentrum in einem Krankenhaus geführt.
Die Freitagsschule unterrichtet jeden Freitag Deutsch für Kinder vom Kindergartenalter an bis zum Abitur. So hat der 3-jährige Bazar mit den schwarzen Kulleraugen dann während meiner Hospitation das bunte Perlenwerk von Miriam zerstört. “Nicht immer alles kaputt machen!”, hat sie sich flüsternd auf Deutsch beschwert. “Ja, nicht kaputt machen, war schön.”, kam ihr der strohblonde Tyler, der amerikanische Eltern hat, zur Hilfe. Palästiner, Araber, Juden, alle sind hier willkommen, einzige Vorraussetzung ist, dass mindestens ein Elternteil Deutsch spricht. Nun ja, die Schule hat sich für einen anderen Vorschullehrer entschieden und das Goethe-Institut, von dem es gestern noch hieß, sie hätten jeden Fall Arbeit für mich, hat heute endgültig dann doch nichts. Kann mit Unsicherheit ja nicht so.
Am Montagabend war ich gefühlt wieder in Hamburg auf dem Kiez. Zumindest die Menschenmassen, die sich die Gaza-Street entlang gedrängt haben, haben stark daran erinnert. Keine 20m von unserer Wohnung war an dem Abend ein Straßenfestival: Bands, Leinwände zum Besprühen mit Graffiti und Lichtshows. Dass ein Bier im Laden 3€ kostet, ist gewöhnungsbedürftig.
So viel als kurzer Anfang bis hier!
Teil II: Meine orthodoxe Mitbewohnerin und Shabat
Als ich am Freitagnachmittag die Wohnung verlasse, steht meine Mitbewohnerin, ich nenne sie Elena, in der Küche und bereitet Fisch zu. Da wir keinen Herd haben, nehmen wir elektrische Herdplatten, die in die Steckdose gesteckt werden. Fünf Stunden später komme ich zurück nach Hause. Der Fisch ist weg, die Herdplatte immer noch eingesteckt und heiß. Der Grund: Shabbat hat angefangen und sie ist orthodoxe Jüdin. Shabbat ist der Name für den Wochentag Samstag, beginnt Freitag nach Sonnenuntergang und endet Samstag bei Sonnenuntergang. Wer die Regeln befolgt, darf in dieser Zeit nicht arbeiten, nicht waschen, kochen oder elektrische Geräte an- oder ausmachen, also auch keinen Stecker ziehen. Und sie darf niemanden bitten, es für sie zu tun. In ihrem Zimmer brennt noch Licht. Es brennt auch drei Stunden später noch. Darf sie wohl auch nicht ausmachen. Die Nebenkosten zahlen wir alle zusammen… Auch sonst isst Elena kosher, wir nicht. Zum Beispiel dürfen keine Milch- und Fleischprodukte gemixt oder vom gleichen Geschirr gegessen werden. Also gibt es Teller nur für Fleisch und Teller nur für Milchprodukte. Ich glaube, es darf auch nicht zusammen abgewaschen werden und wir deshalb zwei Spülbecken haben, von denen sie das rechte belegt, aber keines zu nutzen scheint. Ich dachte, orthodoxe Frauen müssten lange Röcke und langärmelige Blusen tragen, Elena aber trägt hautenge Kleidchen, die knapp bis zum Knie reichen und High Heels, die, wenn ich sie anziehen würde, einmal krrrrrrrrrk machen würden und zerbrächen (und wenn nicht, dann mein Fuß beim ersten Schritt). Sie hat blond gefärbte Locken und ihr hübsches Puppengesicht ist immer geschminkt. Wenn sie mit mir spricht dann sehr leise und freundlich, aber das tut sie so gut wie nicht. Nächstes Wochenende zieht sie um und wir werden zwei neue Mitbewohner suchen.
Shabat bedeutet auch, das Auto stehen zu lassen. Daran halten sich aber nur einige. Gestern am Shabat schien die Sonne, 25°C und halb Jerusalem hatte die Idee sich ins Auto zu setzen, um zum Ort, mit dem besten Humus zu fahren: Abu Gosh (wird sogar im Lonley Planet empfohlen). Abu Gosh ist ein arabisches Dorf, das von der Shabat-Ruhe nicht betroffen ist, in Jerusalem hat wirklich alles zu, nicht einmal ein Eis gibt es zu kaufen. In Jerusalem waren nur vereinzelte Autos, einige Kilometer vor Abu Gosh sind es so viele, dass wir im Stau stehen, der Parkplatz ist voll und vor dem Restaurant eine gut 6m lange Schlange. Als wir an der Reihe sind, winkt uns ein Mann zum anderen Ende des Restaurants durch, dann winkt er uns wieder zurück zu einem Tisch, an dem drei Stühle zu wenig stehen. Im Restaurant vermischen sich laute Stimmen und der Geruch vom gegrilltem Fleich, Stühle werden hin- und hergetragen. Als der Kellner an unserem Tisch die Bestellung aufnimmt und einem Kollegen etwas zuschreit, tropft der Olivensaft von seinem Teller auf den Arm von Mayaan. Dann gibt es Humus (Kichererbsen- und Sesampaste), Pitabrot, Falafel und Shashlik und das ist dann ziemlich gut.
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