Stadtgespräch

Modistin mit Herzblut

Stadtgespräch
Maria Wölfle
@kulturgedanken

Ressortleitung Kultur | Studium der Kulturanthropologie, Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft | Email: woelfle@hh-mittendrin.de

Seit einem halben Jahr lernt die 18-jährige Lea, wie man Hüte macht. Auf was genau sie sich da einlässt, wusste sie vorher gar nicht. Über einen alten Beruf und eine junge Frau, die ihn erlernt.

Es zischt. Dampf steigt auf, während Lea das Stroh vor ihr bügelt. Behutsam fährt sie das Eisen mit ihren zierlichen Fingern am Material entlang. Wenn es feucht ist, ist es leichter zu verarbeiten. Das ist wichtig, denn Lea macht gerade etwas außergewöhnliches: sie stellt ihren ersten Strohhut selbst her.

Seit einem halben Jahr lernt Lea in dem kleinen Betrieb von Ulla Anna Machalett in Hamburg Mitte das Modisten-Handwerk. Dabei wusste sie vor der Ausbildung gar nicht, dass es den Beruf überhaupt gibt. „Im Internet habe ich Ullas Anzeige gesehen ‚Modistin mit Herzblut gesucht’“, erzählt Lea schmunzelnd. „Ich hatte keine Ahnung, was das ist, fand die Anzeige aber spannend.“ Also recherchierte sie, machte sich mit dem Beruf vertraut. „Da dachte ich, das gibt es auch noch. Man hat diesen Beruf gar nicht im Kopf, weil er so selten ist.“ Nach drei Tagen Probearbeit in dem kleinen Betrieb war Lea klar: Das ist es!

Lea nimmt jetzt ein schmales Stoffband, bindet es um das Stroh herum und fixiert es mit Stecknadeln. Das Stroh ist über einen Holzkopf gespannt und soll nicht verrutschen. Sie beginnt konzentriert, das Material in Form zu ziehen. Manchmal runzelt sie die Stirn und hält kurz inne, über den nächsten Handgriff nachdenkend. Die langen braunen Haare hat sie zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr immer wieder nach vorn über die Schulter fällt. Schließlich schaut sie ihre Chefin Ulla fragend an. Die beäugt Leas Arbeit kritisch, zupft hier und da am Stroh und meint anerkennend: „Das ist gar nicht schlecht für den Anfang.“

„Das Handwerk passt sich an“

Lea fühlt sich merklich wohl in Ullas Werkstatt. Trotz dem kritischen Blick der Chefin wirkt sie entspannt. Die beiden verstehen sich gut, immer wieder scherzen sie. Anders würde die gemeinsame Arbeit wohl nicht funktionieren. Die Modistin und ihre Auszubildende arbeiten täglich acht Stunden lang zusammen. Nur fünfzehn Quadratmeter umfasst die Werkstatt des kleinen Betriebs. Und man weiß nicht, wohin man dort zuerst schauen soll, so voll ist es. An den Wänden stehen Regale, in denen sich bis zur Decke Kartons stapeln, die mit Begriffen wie Borden, Filz oder Schnallen beschriftet sind. Einmachgläser stehen auf einem Bord, gefüllt mit einem Sammelsurium aus Knöpfen in allen Formen und Farben. Federn liegen umher, auf einer Garderobe hängen Damen- und Herrenhüte. Da sind Scheren, Schablonen, Stoffe und Bänder.

Es ist ein alter Beruf, den Lea erlernt. Die erste Hutmacherzunft wurde 1363 in Nürnberg erwähnt. Seit Novellierung der Ausbildungsordnung in Deutschland 2004 lautet die offizielle Berufsbezeichnung jedoch Modist. Dass Lea die Ausbildung machen kann, ist nicht selbstverständlich. In Hamburg lernen lediglich zwei Azubis das Handwerk, von dem stets gesagt wird, es befinde sich im Aussterben. Ob davon wirklich die Rede sein kann? Ute Kretschmann von der Handwerkskammer Hamburg ist skeptisch: „Das Handwerk passt sich der Nachfrage an, ist also immer modern. Auch in den seltenen Berufen suchen sich die Handwerkerinnen und Handwerker ihre Spezialisierung.“

Die Selbstständigkeit als Chance

Lea ist eine ruhige und natürlich wirkende junge Frau. Auf dem Kopf trägt sie selbst einen braunen Männerhut. Ihre ungeschminkten braunen Augen werden jedes Mal größer, wenn sie begeistert vom Handwerk erzählt. „Man kann total kreativ sein“, meint die 18-Jährige. „Wir machen hier alles, was man sich auf den Kopf setzen kann.“ Toll findet sie auch, dass sie jeden Tag das Ergebnis ihrer Arbeit sehen kann. Dabei ist es kein einfacher Beruf, den sie sich ausgesucht hat. Das Handwerk erfordert viel Feingefühl. Vor allem aber die äußeren Umstände könnten Zweifel an der Wahl aufkommen lassen.

„Es gibt wenig Jobs“, erklärt Ulla. In Deutschland gibt es kaum noch Hutfabriken. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Lea nach der dreijährigen Ausbildung selbstständig arbeiten wird. „Ich finde das aber gut, weil mich das zwingt, aus meinem alltäglichen Raum rauszugehen.“ Die Problematik, dass sich damit womöglich nicht immer genug Geld verdienen lässt, um den Lebensunterhalt zu sichern, ist kein Thema für sie. „Ich mache mir noch gar keine Gedanken darum, was nach der Ausbildung kommt“, meint sie und blickt nachdenklich in den Raum hinein. „Vielleicht ist das blauäugig aber das ist noch so weit weg für mich.“

Lea zieht nun so lange am Stroh, bis die Hutkrempe sich gleichmäßig um die Hutkrone schwingt. Das dauert. Immer wieder muss sie neu ansetzen. Die Technik des Handwerks hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. „Unser Hutweiter stammt von 1938“, sagt Ulla lachend. Auch wenn die Hutmacherzunft kleiner geworden ist, verschwinden wird sie wohl nicht. Hutmacher haben einen Exotenbonus. „Hüte zu tragen wird immer cooler und üblicher. Dadurch steigt auch die Nachfrage.“ Flexibel sein und sich den Umständen anpassen, müssen Hutmacher aber allemal. Und geduldig sollten sie sein. „Das muss jetzt trocknen.“ Lea stellt den Strohhut zur Seite. Für heute hat sie Feierabend. „Morgen geht es weiter. Vielleicht entdecke ich dann wieder was Neues in einer der Kisten und Kartons.“ All die Möglichkeiten, die das Hutmacherhandwerk so bietet, hat sie noch gar nicht entdeckt.

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1 Kommentar

  1. Ralf Hans Paul

    30. Dezember 2014 at 14:02

    Sehr interessanter und gut geschriebener Artikel !!!

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