„Nenn’ mich bloß nicht Sie!“ – Nette Begrüßung, so unter Nachbarn. Die erhielt ich, als ich Neu-Hamburgerin bei meinen Neu-Nachbarn höflichst nach einer Leiter fragte, mit der ich beim Streichen meiner Neu-Studentenbude auch in die hintersten Ecken der hohen Lagerhausaltbauwände gelangen könnte. Das „Sie“ – so scheint es – ist in Hamburg verpönt. Vielleicht soll damit auf die Nähe zum liberalen England mit seinem universellen „you“ aufmerksam gemacht werden. Vielleicht geht man damit gegen das Vorurteil vor, Hamburger seien etwas hochnäsig und unterkühlt. Fest steht, wer hier mit Sie anredet wird schief angeguckt. Und immer wenn ich jetzt in das anerzogene Muster zurückfalle, komme ich mir sehr spießig vor.
A Propos nette Begrüßung: Nach ein paar Tagen war ich dann offiziell Hamburgerin! Ganze zehn Euro kostete mich das. Davon, dass man vom Berliner Einwohnermeldeamt stattdessen 100 Euro Begrüßungsgeld bekommt, könnten sich die Hamburger ruhig mal eine Scheibe abschneiden, finde ich. Aber der Ärger ist schnell verflogen, fahre ich mit dem Fahrrad durch diese Stadt, die jetzt „meine“ ist. Das Hochgefühl erreicht seinen Höhepunkt als ich von einem orientierungslosen Touristenpaar angehalten und um Hilfe gebeten werde: „Sie sind doch sicher ortskundig“, fragen sie. Die Anrede entlarvt das Paar sofort als Touristen. „Na klar, schließlich wohne ich ja auch hier“, hätte ich am liebsten promt geantwortet. Dass ich ihnen trotzdem nicht den schnellsten Weg zum Michel erklären konnte, kümmerte mich kein bisschen.
Als ich vor ein paar Monaten verkündete: „Ich ziehe nach Hamburg“, rief das bei nahezu allen meiner Mitmenschen folgende Reaktion hervor: In den Augen aufblitzender Neid gefolgt von „Oh hast du’s gut… Hamburg ist eine so schöne Stadt!“ Nur um sich kurz danach wieder zu sammeln und hämisch hinzuzufügen:„Hast du auch einen guten Regenschirm?“ Ich ließ ihnen diesen Anker der Selbstbeschwichtigung. Irgendetwas muss ja auch schlecht sein hier oben in der doch zweifelsohne schönsten Stadt Deutschlands. Ich nahm die Kommentare gelassen hin und verzichtete sogar darauf zu kontern: „Laut Statistik regnet es in Hamburg gar nicht mehr als im Süden, nur eben öfter!“
Hier angekommen – selbstverständlich ausgestattet mit einem ordentlichen Regenschirm – stimmte mich ein doch weitgehend sonniger Oktober friedlich. Und ließ mir Gelegenheit, eine interessante Hamburger Eigenheit – besser gesagt einen Nationalsport – zu beobachten: Das Buhlen um die attraktivsten Parkbänke. Es gibt nämlich nur zwei Orte, an denen sich der gemeine Hamburger an sonnigen Sonntagen, meist spazierend ,aufhält: Elbstrand oder Außenalster. Während erst genanntes weitläufig, besandet (Sitzmöglichkeiten!) und mit zahlreichen Bars (mehr Sitzmöglichkeiten!) bestückt ist, besteht für dieses Gut rings um die Außenalster Mangelware. Wem also nach langem Marsch nach einer Rast zu Mute ist, muss sich folgender dreistufiger Prozedur unterziehen:
1. Stufe: Er setzt sich ins (nasse und kalte) Gras, natürlich vorgebend, sich genau diesen Platz ausgesucht zu haben und den Kontakt des Hosenbodens mit dem puren Gras den spießigen Parkbänken bei Weitem vorzuziehen. In dieser Position verharrt und beobachtet er die Objekte der Begierde. Wird eine Bank frei, steht unser Kandidat schon in Startposition und sprintet auf den frei gewordenen Platz zu. Dabei gibt er sich selbstredend lässig und cool. Es war schließlich nur ein Zufall, dass ausgerechnet jetzt ein Platz frei wurde. Wir befinden uns auf der 2. Stufe: Der Kandidat freut sich nun zwar über eine bequemere Sitzposition und die gebannte Gefahr einer Blasenentzündung, die Aussicht lässt jedoch meist noch zu wünschen übrig. Auf das Freiwerden von Plätzen in wirklichen Spitzenpositionen – kein Baum im Weg, freier Blick auf Alster und Segelboote – muss er nämlich noch etwas länger warten. Also weiter, Umgebung beobachten und bei Gelegenheit blitzschnell zugreifen. Hat er schließlich Stufe 3 und damit sein Ziel erlangt, wird er dort vermutlich auch so lange verharren, bis es a) dunkel wird oder b) die Kälte eine Blasenentzündung doch wieder gefährlich wahrscheinlich werden lässt. Warum also den Nieselregen so verteufeln? Da hat man die Hamburger Naherholungsgebiete wenigstens für sich!
Fehlt noch eine wichtige Pflichtveranstaltung. Ein schnell etablierter Treffpunkt feierwütiger Komillitonen: Der Besuch auf dem Fischmarkt. Ich bin begeistert. Nicht nur vom Riesentrubel und den Stimmorganen der Fischverkäufer, die ihre Ware lobschreien und dabei, ganz der Münchner-Hamburger-Feindschaft entsprechend, die bayrischen Touristen auf’s Korn nehmen. „Und für unsere Touristen aus München schreibe ich den Preis in extra großen Zahlen auf“, pöbelt einer in der sonntäglichen Frühe. Bin ich froh, dass ich aus Hessen komme! Vor allem begeistert mich der Pragmatismus der Hamburger Polizei. So endet eine Durchsage, bei der vor Taschendieben gewarnt wurde, mit den Worten: „Wir fordern alle Taschendiebe auf, das Gelände unverzüglich zu verlassen.“ Humor haben sie, die Hamburger.
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