„Ich habe ja jetzt schon ein bisschen Angst, dass ich Mittendrin vermissen werde.“ – „Ja, das glaube ich auch.“
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Ich liege auf dem Bett, durchs offene Fenster sehe ich den blauen Himmel, wenn ich aufschaue. Gedanklich jedoch schaue ich zurück. Auf die letzten drei Monate. Das klingt erstmal nicht lang, doch es ist unheimlich viel passiert. Jetzt ist der Juli fast zu Ende. Ab dem ersten August ist mein allmorgentliches Ziel dann nicht mehr das Büro von Mittendrin, sondern das in der Pressestelle der Stadtreinigung.
Es ist wahr geworden, was auf der Herzliste 2014 ganz oben stand und doch im Blogpost nicht auftauchte. Aus Angst, dass es nicht klappt. Aber das hat es. Wenige Tage vor meinem 18. Geburtstag bin ich aus dem nerdhessischen Edgekaff nach Hamburg gezogen. Und habe dort zum ersten Mal das Schreiben zum Beruf gemacht. Irgendwie.
Als ich an meinem ersten Praktikumstag ins neue Mittendrin-Büro kam, bestand das aus einem Schreibtisch, drei Stühlen und einem privaten Laptop. Es war so kalt, dass wir uns mit Rücken an die Heizung kuschelten, und Internet gab es auch nur über einen iPad-Hotspot. Wenn ich auch mit der Gründung des Magazins nichts zu tun hatte, so kann ich nun zumindest trotzdem von mir behaupten, bei seinem Aufbau mitgeholfen zu haben – und das im Wahrsten Sinne des Wortes: Schreibtische zusammenschrauben, Pinnwände aufhängen… 😉
In kommenden Wochen entwickelte sich bei Mittendrin einiges. Über dem Eingang, wo irgendwann mal wer mit grüner Farbe „ART“ geschrieben hatte, hängt jetzt ein hochseriöses Schild, damit die Post uns auch findet. Es gibt inzwischen Sofas, genügend PCs für alle und eine Erdbeerpflanze im Hinterhof, und wenn wir Isa nicht davon abgehalten hätten, zum Tierheim zu rennen und Hugo und Gustav vom traurigen Los vorm Urlaub zurückgelassener Haustiere zu erretten, hätten wir jetzt auch zwei Redaktionskaninchen. Schulpraktikanten kamen und gingen. Ich habe neue Kolleg*innen kennengelernt und Freund*innen gefunden in dieser Stadt, in die ich unbedingt wollte, letztendlich aber irgendwie doch nur die Fußballkumpels des Lebensabschnittstrolls kannte. Und ich habe viel gelernt. Dass Journalismus eben kein Aktivismus ist und wie man es trotzdem schafft, politischen Bullshit in völlig sachlichem Ton zu entlarven. Wie es sich anfühlt, schon beim Ankommen bei einem Termin zu wissen, dass ich darüber schreiben (müssen) werde, statt wie beim Bloggen darauf zu warten, dass mich ein Thema persönlich so mitreißt, dass ich darüber schreiben möchte. Von Idealismus und wie frustrierend es sein kann, mit einem irgendwielinksalternativen Magazin doch wieder finanziell abhängig zu sein. (Ihr möchtet übrigens ganz dringend an Mittendrin spenden, hab ich Recht? *hust*) Wie Zusammenarbeit mit flachen Hierarchien funktionieren kann und wie schwierig es im alltäglichen Stress doch wieder sein kann, Dinge abzuklären und vernünftig zu kommunizieren. Dass eine die abzurechnenden Texte nicht am Ende des Monats erst wieder aus dem System suchen möchte, sondern gleich eine laufende Liste führen. Wie verschiedene journalistische Textarten geschrieben werden, wie Suchmaschinenoptimierung funktioniert und wie viel Arbeit oft in einer kurzen und scheinbar banalen Meldung steckt. Und, dass WordPress und Facebook zickige Biester sind, aber das wusste ich ja vorher schon.
Daran, den ganzen Tag über nicht zu Hause zu sein und dann abends noch ALL DIE DINGE erledigen zu müssen, musste ich mich erst gewöhnen. Genauso wie daran, dass über das, was ich geschrieben hatte, immer noch irgendwer drüberredigiert. Und ich nicht mit Stern gendern durfte (aber immerhin mit Binnen-I). Zum Bloggen bin ich in der Zeit überhaupt nicht gekommen. Manche Wochen waren stressig und als ich Freitagabend erschöpft ins Bett fiel, schien Montagmorgen schon wieder unendlich weit weg. Umfragen und Flyerverteilaktionen zwangen mich dazu, über meinen Schatten zu springen und mir völlig fremde Menschen anzusprechen. Bei den Bezirkswahlen stand ich zum ersten Mal auf der anderen Seite – nicht auf der Wahlparty, sondern im Redaktionsbüro, wo panisch die Seite mit den Wahlergebnissen aktualisiert wurde. (Wir waren einen Tweet schneller als die Springerpresse™, yay! :P)
Ich habe viel zu oft zugesagt, Texte am Wochenende fertigzuschreiben – und war mitten in der Woche nachmittags zum Fotografieren im sonnigen Park. Ich habe die Nervösität verloren, die ich am Anfang damit verband, dass meine Texte jetzt zur Gesamtqualität oder eben Nichtqualität eines lokal relativ bekannten Magazins beitragen – und mich in Recherchen. Nicht selten saß ich abends noch lange nach Feierabend im Büro, schrieb Texte zu Ende oder lachte beim Verputzen einer Wassermelone mit den anderen Redaktionsmitgliedern Tränen. Zusammen mit Tobias visualisierte ich das Wahlergebnis der Bezirkswahl mit Obst und Gemüse – was irgendwie nicht alle Kartoffeln so lustig fanden wie wir… ¯\_(ツ)_/¯ Kaffee kochen stand auf meiner Aufgabenliste jedenfalls ganz sicher nicht an erster Stelle.
Und jetzt? Genieße ich es gerade ziemlich, endlich mal wieder die Ruhe für diesen Post zu haben. Und bin gerade ziemlich irritiert, dass mein Blog gar kein Beitragbild im Format 770×440 von mir möchte… 😀 Was Mittendrin betrifft: Nun, ich gehe davon aus, dass sich nicht am 31. Juli um 18.01 Uhr automatisch mein WordPress-Konto löscht und die Tür zur Koppel 106 für mich magisch verschließt. Zumal am 23. August ja erstmal die Einweihungsparty des neuen Büros steigt. Also heißt es ab dem 1. August hoffentlich: Nicht mehr mittendrin, aber immer noch irgendwie dabei!
Dieser Blogpost stammt vom privaten Blog von Vanessa, zwischenruf.org, und wurde dort am 26. Juli 2014 veröffentlicht.
Oberes Foto: Jonas Walzberg/Archiv
Fotocollage: Tobias Johanning
Rage-GIF: Tobias Johanning
Gemüseparlament: Tobias Johanning & Vanessa Kleinwächter
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