Wer nicht fragt bleibt dumm: Warum wählen die Hamburger eigentlich eine „Bürgerschaft“? Seit wann gilt die Hansestadt als sozialdemokratische Hochburg?
Alle fünf Jahre wählen die HamburgerInnen die Bürgerschaft: Hier machen die Abgeordneten Gesetze, hier trifft der Senat wichtige Entscheidungen. Was uns heute alltäglich erscheint, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. So mancher heutiger Konflikt hat die Hansestadt schon früher beschäftigt – die Lösungen der alten Probleme erscheinen dabei überraschend modern. Wir haben einige Fragen und Antworten zu den vergangenen Jahrhunderten Hamburger Stadtpolitik gesammelt.
- Warum wählen wir eine Bürgerschaft – und kein Parlament?
- Natürlich entspricht die Hamburgische Bürgerschaft genau dem, was in anderen Bundesländern als Landesparlament bezeichnet wird. Aufgrund der besonderen Geschichte der Stadt Hamburg bleibt aber der traditionelle Name Bürgerschaft für die gesetzgebende Kammer bestehen.
Schon um 1290 verhandelten die Bürgerschaft und der sogenannte Rat im Rathaus an der Trostbrücke. Hamburg durfte um diese Zeit erstmals eigene Gesetze erlassen und gewann zunehmende Autonomie. Die Frage, wer über die Zukunft der Stadt entscheiden durfte, führte zu einem Konflikt, der die Stadt in den kommenden Jahrhunderten prägen sollte. Bürgerschaft bedeutete damals nämlich genau das, was der Name aussagt: Alle Bürger der Stadt – gewählte Abgeordnete kannte man noch nicht. Beim Rat handelte es sich hingegen um alteingesessenen Hamburger „Kaufmannsadel“, der sich seine Mitglieder selbst wählte.
Der Kampf der Bürgerschaft um mehr Mitbestimmung ist auch heute noch aktuell. Denn: Aus der parlamentarischen Bürgerschaft ist ein Großteil der Hamburger per Wahl ausgeschlossen. Forderungen alle Bürger an der Politik zu beteiligen haben jedoch in den letzten Jahren immer mehr zugenommen.
- Ist die Trennung zwischen Regierung (Senat) und Bürgerschaft (Parlament) nicht eine Erfindung der Moderne?
- Bei Weitem nicht: Die Trennung zwischen der Bürgerschaft und den Regierenden ist fast so alt wie die Stadt selbst. Auch wenn sich die Entscheidungsmacht erst im Laufe der Jahrhunderte zugunsten der Bürgerschaft verschoben hat, ist die Teilung der städtischen Politik das Ergebnis zahlreicher Konflikte und Debatten.
1390 bestimmte der Lübecker Rat, dass Hamburg es so wie die Nachbarstädte zu halten habe und der Bürgerschaft ein Mitspracherecht gewähren müsse. Der Großteil der Macht blieb aber in den Händen des Rates, der die Bürger aber zwei Mal pro Jahr in der sogenannten „Bursprake“ (Bürgeransprache) über seine Entscheidungen informierte – quasi ein sehr frühes Transparenzgesetz.
Für die Bürgerschaft waren die Handlungen des Rates immer wieder Anlass, um mehr Rechte einzufordern. 1529 regelte der „Lange Rezess“ erstmals verbindlich die Beziehung zwischen Bürgerschaft und Rat. Als dieser die Bürger zur Kasse bat, um den Ausbau der Verteidigungsanlagen zu finanzieren, weigerte sich die Bürgerschaft zunächst und zahlte erst, als sie die Finanzverwaltung zugesprochen bekam – die Geburtsstunde des Haushaltsrechts.
Diese lange Geschichte ist im Rathaus in Stein gemeißelt: Bürgerschaft und Senat haben von der Rathausdiele jeweils einen eigenen Eingang. Die prachtvollere Gestaltung der Senatstreppe kann dabei aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass heute die Bürgerschaft wichtigstes Entscheidungsgremium der Freien und Hansestadt Hamburg ist.
- Warum dürfen 2015 schon 16-Jährige die Bürgerschaft wählen?
- Kurz gesagt: Weil die Bürgerschaft das so entschieden hat. Bei der Wahl 2015 dürfen erstmals alle HamburgerInnen ab 16 Jahren die Abgeordneten der Bürgerschaft wählen. Wer seine Stimme abgeben darf, ist also nicht in Stein gemeißelt.
Das Wahlrecht wurde im Laufe der Geschichte mehrfach geändert, jedenfalls seit 1860. In diesem Jahr trat die neue Hamburger Verfassung in Kraft. Dort wurde festgeschrieben, dass die Bürgerschaft aus 192 Abgeordneten bestehen sollte – quotiert nach Einkommen und Grundbesitz. Zudem wurde festgelegt, dass die Bürgerschaft den Senat, wie der Rat nun hieß, wählen sollte. Das Wahlrecht erhielten alle Bürger, die mindestens 25 Jahre alt waren. Ein Großteil der Hamburger blieb somit von der Wahl ausgeschlossen, da das Bürgerrecht weiter an die Besitzverhältnisse gekoppelt war.
Eine Öffnung des Wahlrechts trat erst 1880 in Kraft und blieb nicht unumstritten: Bereits 1906 wollte der Senat das Klassenwahlrecht, dass Stimmen nach Einkommen verteilt, wieder einführen. Die Sozialdemokratische Partei organisierte gegen den „Wahlrechtsraub“ den ersten politischen Generalstreik in Deutschland, beim dem mehrere Demonstranten nach dem gewalttätigen Vorgehen der Polizei getötet wurden. Beschlossen wurde das neue Wahlrecht dennoch. Erst die Verfassung von 1920 kannte das allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlrecht für alle Hamburger und erstmals auch Hamburgerinnen ab 20 Jahren. Das Verfassungsbeispiel zeigt, dass in der Politik nichts unveränderbar ist. Auch heute wird wieder darüber diskutiert, ob das politische Hamburg nicht anders gestaltet werden könnte.
- Warum gilt Hamburg als sozialdemokratische Hochburg?
- Dass Bürgermeister Olaf Scholz mit der SPD seit 2011 mit einer absoluten Mehrheit regieren kann, ist im demokratischen Hamburg eher die Regel. Mit wenigen Ausnahmen wie dem schwarz-grünen Senat von 2008 stellten in Hamburg meist die Sozialdemokraten die Regierung. Die Hansestadt gilt daher als sozialdemokratische Hochburg.
Und das, obwohl die SPD im konservativen Hamburg erst spät Fuß fassen konnte: 1901 zog der erste Sozialdemokrat in die Bürgerschaft ein, 1919 gewann die SPD erstmals die absolute Mehrheit im Parlament. Doch erst 1929 wurde mit Rudolf Roß der erste Sozialdemokrat Bürgermeister.
Die Freude währte aber nur kurz: Schon 1932 ist die NSDAP stärkste Kraft im Rathaus, das sie im März 1933 mit SA- und SS-Truppen besetzen ließ und unter Abwesenheit von SPD und KPD einen rechten Senat wählte. Es folgte auch in Hamburg die Gleichschaltung aller Gremien sowie der Anschluss von Altona, Harburg und Wandsbek durch das Großhamburggesetz.
Erst mit dem Ende des Krieges und der neuen Verfassung 1946 kamen die Sozialdemokraten wieder an die Macht und bestimmten maßgeblich das Schicksal der Stadt. Ob Olaf Scholz an diese Tradition weiter anknüpfen kann, zeigt sich erst am 15. Februar.
- Hamburg muss sparen. Gilt die Kaufmannsstadt nicht eigentlich schon immer als reich?
- Die Kasse der Handelsstadt war im Laufe der Geschichte in der Regel tatsächlich prall gefüllt. So verzeichnet die Chronik für 1350 ein sattes Plus von 5000 Talern. Ausdruck des Reichtums der tüchtigen Kaufleute ist das Matthiae-Mahl, das 1356 erstmals auf Kosten des Rates veranstaltet wurde. Zu dem Festessen werden besondere Bürger und Ehrengäste geladen. Die Völlerei nahm dabei immer größere Ausmaße an. So sind für das Bankett 1563 in Auszügen folgende Speisenliste verbrieft: 29 Lämmer, neun Schafe, 385 Pfund Ochsenfleisch, 145 Hühner und 3330 Eier.
Trotz des Reichtums musste Hamburg immer wieder sparen, weil etwa Kriegskosten oder Großprojekte wie der Hafenausbau den Haushalt belasteten. In Notzeiten wurde das Matthiae-Mahl daher ausgesetzt und 1724 abgeschafft. Erst 1956 knüpfte man in Zeiten des Wirtschaftswunders wieder an die Tradition an. Aktuell ist der Spardruck nicht so hoch, dass der Senat an ein Aussetzen des Matthiae-Mahls denkt. Immerhin bleibt Hamburg weiter eine der reichsten Städte Europas. Wie dieser Reichtum verteilt wird, ist allerdings an Thema, das bereits Generationen vor uns beschäftigt hat und auch nachfolgende HamburgerInnen beschäftigen wird. Die Weichen für diese Zukunft stellen wir am 15. Februar.
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