Lessingtage: „Aufruhr“ im Thalia Theater

"Common Ground" - ein Gastspiel des Maxim Gorki Theaters aus Berlin.
Theater
Larina Kistenbrügger

Mittendrin-Praktikantin

Unter dem Motto „Aufruhr“ finden bis zum 8. Februar die „Lessingtage 2015“ im Thalia Theater statt. Das Theaterfestival wagt einen Blick auf die Krisenherde der Welt. 

Proteste auf dem Maidan in Kiew, der Kampf um der Lampedusa Flüchtlinge in Hamburg für ein Bleiberecht und die Aufarbeitung des NSU-Terrors: Die Lessingtage 2015 legen den Finger in die Wunde. Bei mehr als zwanzig Gastspielen soll im Thalia Theater bis Anfang Februar der „Aufruhr“ thematisiert werden.

Bereits zum sechsten Mal finden die Lessingtage im Thalia Theater statt, um den Leitgedanken von Gotthold Ephraim Lessing fortzuführen, verschiedene Kulturen und Religionen zu verbinden. In den internationalen Gastspielen zeigen die Regisseure und Schauspieler, was sie in ihren Ländern bewegt und stellen die gegenwärtige Situation künstlerisch dar.

Die ideale Stadt

Eröffnet wurden die Lessingtage am Sonntag mit einer Rede über das Verhältnis zwischen der Gestaltung einer Stadt und sozialen Spannungen. „Wir brauchen mehr öffentliche Räume, in denen Menschen ihre Verschiedenheit ausleben können“, sagte der Kultursoziologe Richard Sennett. Er stellte dem Begriff der Grenze dem der Abgrenzung gegenüber: Ähnlich wie bei einer Zelle und ihrer Membran wären in einer idealen Stadt Infrastruktur und Gebäude so gestaltet, das unterschiedliche Gruppen trotz verschiedener Interessen ständig in Kontakt miteinander stehen. So könnten Konfliktherde zwar nicht gänzlich befriedet, Eskalationen aber minimiert und dauerhaft Toleranz geschaffen werden, meint Sennett.

Einige Höhepunkte des Programms gibt es hier für euch im Überblick:

Die ‚Lange Nacht der Weltreligionen‘

Religion und Gewalt. Ein Begriffspaar sorgt für mediale Aufmerksamkeit, seit es im Zusammenhang aktueller Konflikte wie beispielsweise in Nahost oder religiös motivierter Radikalisierung Jugendlicher auch in Deutschland. Stereotype Verknüpfungen wie Christentum und Kreuzzüge, Islam und Djihad, Judentum und militanter Zionismus werden für die abrahamischen Religionen bemüht. Ebenso stereotyp werden Buddhismus oder Hinduismus als friedliche, gewaltentsagende Religionen dargestellt. Keine Religion ruft von sich aus auf zur Gewalt, sagen die einen. Den abrahamischen Religionen ist Gewalt immanent, meinen die anderen. Was steht eigentlich in den Schriften der Religionen, wie können die Texte heute gedeutet werden und welche Gegenentwürfe bieten sie an? Die Lange Nacht der Weltreligionen stellt am Sonntag, 1. Februar, Texte aus den unterschiedlichen Religionen vor. Los geht es um 18 Uhr.

“Dementia“

Dementia, Foto: Marcell Rév

Im Theater wie im Kino greift der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó die Ungereimtheiten politischer Machenschaften seiner Heimat offensiv an. In Cannes ist er für seinen neuesten Film „White God“ ausgezeichnet worden. Und auch im Theater bleibt er nicht stumm: „Wir entfliehen dem Kerker des Bewusstseins und betreten das Universum der Leere“, wird in „Dementia“ pointiert die gegenwärtige Situation Ungarns mit dem Zustand von Demenzpatienten verglichen. Als Teil einer Trilogie, die sich dem Thema Selbstmord sowie dem Genre der Operette verpflichtet, liegt „Dementia“ eine wahre Begebenheit zugrunde: Von heute auf morgen wird eine Klinik von einem Investor aufgekauft. Arzt, Krankenschwester und Patienten sollen gehen. Aber wohin? Zu sehen gibt es das Stück am Dienstag, den 3. Februar, 20 Uhr.

 

“Kinder|Soldaten“

Wie entsteht Gewalt? Und was hat das Thema Kindersoldaten mit uns zu tun? Ausgehend von Interviews mit nach Deutschland geflüchteten Kindersoldaten hat Regisseur Gernot Grünewald einen Abend entwickelt, der unter die Haut geht.

Lessingtage, Kindersoldaten, Foto: Jörg Landsberg

 

In mehrmonatiger Probenzeit hat er sich mit einer Gruppe Bremer Kinder und Jugendlicher mit der fernen Lebensrealität afrikanischer Jugendlicher vertraut gemacht, die in unterschiedlichsten Kriegen als Kindersoldaten missbraucht wurden. In der beeindruckenden Aufführung stehen nun Bremer Kinder als Stellvertreter Gleichaltriger aus Afrika auf der Bühne und lassen den Zuschauer miterleben, wie Kinder zu Opfern werden, indem man sie zu Tätern macht. Wer das Bremer Gastspiel sehen möchte, hat dazu am 27., 28. und 29. Januar jeweils um 19 Uhr im Thalia in der Gaußstraße die Gelegenheit.

“Late Night“

Tanzen ist das einzige, was hilft – von Zeit zu Zeit jedenfalls. Und so tanzen diese sechs Menschen, sobald der Walzer erklingt. Sie tanzen auf den Trümmern des Krieges. Es sind Tänze der Sprachlosigkeit wie der Erinnerung. Erinnerungen an das brennende Kreuzberg, die Soldaten in Berlin, die vielen Flüchtlinge in Ljubljana, die Zerstörung von Paris, ein brennendes Telekom-Hochhaus in Amsterdam. Erinnerungen an ihre große Liebe, die sie dem Krieg geopfert haben, Erinnerungen an ein zukünftiges Europa. Das Theaterkollektiv Blitz erzählt in poetisch-traurigenund humorvollen Bildern von den Auswirkungen der wirtschaftlichen Situation Griechenlands auf ganz Europa. „Late Night“ wird am Dienstag, 3. Februar und am Mittwoch, 4. Februar jeweils um um 20 Uhr im Thalia in der Gaußstraße gezeigt.
©Vassilis_Makrisblitz_Late_Night_01

 

“El Djoudour“

Bereits im letzten Jahr war Abou Lagraa mit seiner Arbeit “NYA“ während der Lessingtage zu Gast. In “El Djoudour“, seiner jüngsten Arbeit, die übersetzt “Wurzeln“ bedeutet, untersucht er zusammen mit 14 algerischen und französischen Tänzern die Rolle des menschlichen Körpers in der muslimischen Kultur. In einer Mischung aus Zartheit, Bescheidenheit und Respekt vor der Privatheit des Körpers einerseits und einer Frustration über die Trennung der männlichen und weiblichen Körper im öffentlichen Raum andererseits, erzählt Lagraa einen ungeheuren Bogen der menschlichen Beziehungen. Zu sehen ist die Choreographie am Donnerstag, 5. Februar und am Freitag, 6. Februar jeweils um 2o Uhr. 

“Eine (mikro)öko­nomische Welt­geschichte, getanzt“

Um zu erforschen, wie sehr wirtschaftliches Denken unseren Alltag bestimmt, waren drei Jahre lang Einwohner der Pariser Vorstadt zu Schreibworkshops eingeladen. Aus persönlichen Texten über die Angst vor der Krise entwickelte der französische Theaterkünstler Pascal Rambert mit demWirtschaftsphilosophen Éric Méchoulan einen Theaterabend, an dem die Bürger ihre Texte vortragen und Einblicke in unterschiedlichste ökonomische Systeme geben. Nach der Premiere bei den Lessingtagen am Montag, 26. Januar, wird die ökonomische Weltgeschichte am Dienstag, 10. Februar, sowie am Mittwoch, 11. Februar, im Thalia Theater gezeigt. Los geht es jeweils um 20 Uhr.

Dementia, Foto: Marcell Rév /“Kinder|Soldaten“, Foto: Jörg Landsberg / „Late Night“, Foto: Vassilis Makris
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