„Quotenmessung widerspricht der Kunst“

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Privattheater in Deutschland haben es schwer. Sie sind oft auf staatliche Fördergelder angewiesen – für die sie strikte Vorgaben erfüllen müssen. Zwei Fälle aus Hamburg.

Von Anja-Katharina Riesterer und Isabella David 

Zuerst veröffentlicht bei Zeit Online am 20. April 2014. 

Eigentlich erwartet man einen großen, prachtvollen Saal, wenn man in die Oper geht. In der Hamburger Kammeroper in Hamburg dagegen ist es klein und gemütlich. Ihr im barocken Stil gestalteter Saal umfasst nur 226 Sitzplätze. Verschieden gestaltete Stühle stehen aneinandergereiht, golden verziert und mit rot gepolsterter Sitzfläche. Auch die Bühne ist klein und im Barockstil gehalten – ihr Portal ist golden, in Prag wurde es geschnitzt. Die Kammeroper ist eines von Hamburgs Privattheatern, also nicht in öffentlicher Hand. Gegründet wurde sie 1996 von Uwe Deeken. Der staatliche Zuschuss beträgt 108.000 Euro im Jahr.

„Für einen Opernbetrieb ist das fast gar nichts“, sagt Deeken. Letztes Jahr musste er das Theater mit 50.000 Euro selbst bezuschussen. „Das ging einfach nicht anders. Wir machen immer genau die Produktionen, die wir für wichtig halten. Ehe wir die Qualität leiden lassen, machen wir lieber Schulden, die dann beim nächsten Mal reingeholt werden müssen.“ Ein Besuch kostet hier zwischen 22 und 35 Euro.

Nur sechs Kilometer weiter liegt das Schauspielhaus, Deutschlands größtes Sprechtheater: Hier können 1.200 Besucher gleichzeitig eine Vorstellung besuchen, und das in einem großzügigen Saal. Jährlich erhält das Theater rund 26 Millionen Euro von der Stadt, die Förderung ist in den vergangenen vier Jahren um 6 Millionen Euro gestiegen. „Durch diese finanziellen Vorteile müssen Staatstheater mehr betriebliche Vorgaben erfüllen. Dafür müssen wir Privaten, wenn es hart auf hart kommt, schließen.“, sagt Deeken. Eine Platzkarte in der mittleren Preiskategorie kostet im Schauspielhaus etwa 28 Euro. Ohne staatliche Förderung wäre es das Vierfache. Rund 26 Spielstätten fördert die Stadt Hamburg insgesamt, davon sind 22 privat. Doch rund 90 Prozent der Gelder gehen an die vier Staatstheater, der Rest wird unter den Privaten aufgeteilt.

Täglicher Überlebenskampf und „Einschaltquoten“

Wie groß die Konsequenzen dieser finanziellen Ungleichheit sind, zeigt sich an der Entwicklung der Hamburger Theaterszene: Kleine, private Häuser befinden sich in einem ständigen Überlebenskampf. Nicht bei allen ist das fortwährende Ringen um Gelder und ausverkaufte Vorstellungen erfolgreich. So sind das Theater im Zimmer, das Piccolotheater und das Theater in der Basilika bereits aus der Hamburger Theaterlandschaft verschwunden. Im vergangenen Jahr konnte das Theater in der Washingtonallee einer Schließung nur durch die finanzielle Unterstützung des Bezirks Hamburg-Mitte entgehen. Seine zukünftige Förderung ist ungewiss. Härter traf es das Theater N.N. in Eimsbüttel – hier fiel im Herbst  2013 der letzte Vorhang. „Dass wir plötzlich schließen mussten, kam überraschend und war ein ziemlicher Schock“, sagt Dieter Seidel, künstlerischer Leiter und Gründer des N.N.

Für private Theater gibt es strikte Vorgaben von der Kulturbehörde: Mindestens 50 Prozent Auslastung sind erforderlich, um eine Förderung zu erhalten. „Einschaltquote“ nennen Uwe Deeken und Dieter Seidel diesen Trend. Sie sind sich einig, mit Kunst hat diese Messung nichts mehr zu tun. „Es geht nicht um Inhalte, sondern darum, wer kommt. Und das kann man natürlich steuern – zum Beispiel durch Freikarten. Aber das ist ein völlig falscher Ansatz. Theater ist keine Ware, die ich verkaufen, verschenken und wieder aussortieren kann“, sagt Deeken.

Das Theater N.N. lag schon in den Jahren vor der Schließung knapp unter 50 Prozent. „Die sind ja gar nicht so penibel, habe ich zunächst gedacht“, erinnert sich Dieter Seidel. Als dann die Zuschauerzahlen sogar ein wenig stiegen, wähnte er sich in Sicherheit. Wegen „nur“ 47 Prozent Auslastung wurden dann 2013 plötzlich alle Gelder gestrichen, was das Aus bedeutete.

In seinen letzten drei Jahren erhielt das Theater jeweils 30.000 Euro Fördergeld – damit konnten genau die Mietkosten abgedeckt werden. Davor wurde im N.N. sieben Jahre lang ohne finanzielle Unterstützung der Stadt gespielt. „Mit der Förderung hatten wir weniger diese existenzielle Angst, die einen sonst verfolgt“, sagt Seidel. Trotz vieler Protestaktionen konnte das N.N. nicht genug Geld auftreiben, um eine Schließung zu verhindern. Man habe mehr erwartet – von der Kulturbehörde, aber auch von den einzelnen Parteien, die direkt angesprochen wurden. „Die Kulturbehörde bedauert sehr, dass die Entwicklung des Theaters N.N. eine weitere institutionelle Förderung nicht rechtfertigt“, sagt Behördensprecher Enno Isermann.

„Theater lässt innehalten, bietet einen Ruhepol“

„Die Quotenmessung widerspricht der Kunst“, kritisiert Seidel. „Kunst ist persönlich, zwischenmenschlich. Kunst erzählt – auf die Art, wie der Künstler es gern möchte.“ Seidel würde sich wünschen, dass die Verantwortlichen sich persönlicher um die Theater kümmern. „Gerade in schweren Zeiten fühlt man sich alleine gelassen.“ Auch Deeken sieht die augenblickliche Schließung des Theaters kritisch. Er schlägt vor, statt der sofortigen Absage zunächst die Fördergelder zu kürzen, damit die Arbeit weitergehen kann.

Den Staatstheatern wirft Deeken einen Hang zur Geldverschwendung vor. Er sähe das Geld lieber in anderen, kleinen Projekten. „Dennoch bin ich ein absoluter Freund von öffentlichen Theatern. Sie haben die Pflicht, mit ihren Mitteln die Kunst als solche zu fördern und neue Dinge auszuprobieren, was ein Privattheater nicht kann“, sagt er.

Auch einige Hamburger Privattheater erhalten höhere Fördergelder, das Ernst Deutsch Theater sogar in Millionenhöhe. „Die müssen dann aber auch inhaltliche Kompromisse machen, um ihre Säle zu füllen. Und das wollten wir im N.N. nie. Wir haben die Stücke ausgewählt, die wir für alle interessant fanden“, sagt Seidel. Eine Freiheit, die er jetzt zurück hat: „Als freies Theater spielen wir jetzt an unterschiedlichen Spielstätten und theaterunüblichen Orten, müssen uns die 3.000 Euro im Monat nicht mehr erkämpfen.“ Das mache den Kopf frei, für Ideen und die eigentliche künstlerische Arbeit.  

Auch kommunale Stätten kämpfen

Der Verteilungskonflikt um Fördergelder, der Balanceakt zwischen staatlicher Förderung und künstlerischer Freiheit und auch das Sterben kleiner Privattheater, sind nicht allein Hamburger Phänomene. Bundesweit steht man vor der Frage, wie die Kulturpolitik Theater in Zukunft fördern kann und soll – um die Kunstschaffenden vor Existenzängsten zu befreien, nicht jedoch von der Freiheit ihrer Kunst. Zudem bangen inzwischen nicht nur Privattheater um ihre Existenz. Bei Hamburgs Nachbarn Schleswig-Holstein kämpft das Landestheater um die Finanzierung eines neuen Theatergebäudes in der Stadt Schleswig, die Kommunalpolitik sperrt sich. Ohne Neubau kann es nicht weitergehen, da das alte Gebäude wegen Baufälligkeit geschlossen werden musste. Dem Landestheater droht die Insolvenz, damit einhergehen würde auch das Aus für die insgesamt zwölf Spielstätten und der Verlust von insgesamt 400 Arbeitsplätzen.

Solche Dimensionen sind den beiden Hamburger Theatermachern fern, sie setzen für die Zukunft ihrer kleinen Spielstätten auf die Anziehungskraft ihres Gewerbes. „Theater lässt innehalten, bietet einen Ruhepol“, sagt Dieter Seidel und Kollege Deeken sieht die Chance in der Gegenkraft zur maschinellen Vereinsamung: „Allein vor dem Bildschirm möchte irgendwann keiner mehr sitzen.“

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