Hamburg gilt als deutsche Medienhauptstadt. Das klingt nach dem üblichen Größenwahn, wird aber erst beim Blick auf die Tagespresse richtig peinlich. Über das Leben an einem Ort, der Informationsmetropole sein will und nicht mal eine ordentliche Zeitung hinkriegt.
Mit Understatement hat es Hamburg nicht so. Hanseaten sollen ihren Reichtum zwar dezenter rausposaunen als Wohlhabende in, sagen wir: Düsseldorf. Aber wenn in den Immobilienfilets an Alster und Elbe der eigene Standort gefeiert wird, fehlt selten der Superlativ. Schon das berühmte „Tor zur Welt“ ist angesichts des Sperrriegels zur Flüchtlingsabwehr ein kolonialer Witz. Von „schönste Stadt Deutschlands“ über „sündigste Meile der Welt“ bis, äh, „bester Konzertsaal“ überhaupt pflegt das regionale Marketing im Chor mit dem Boulevard aber auch sonst seine Superlative für Unaufmerksame. Und dann wäre da ja noch die Medienhauptstadt.
Das ist insofern putzig, als die ersten zwei Silben „Mittelpunkt“ bedeuten, womit wir an einer Art Mittelpunktmittelpunkt leben, was gut zur „selbstüberschätztesten Stadt nördlich von Köln“ passt. Völlig aus der Luft gegriffen ist die Verortung als mediales Zentralgestirn aber auch wieder nicht. Schließlich entsteht gut die Hälfte aller überregionalen Periodika aus Deutschland in und um Hamburg. Doch solche Daten sind schon deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil damit selten das gemeint ist, worauf man als Informationsstandort stolz sein sollte. Während seriöse Ressorts Hamburger Zentralen von Spiegel über Stern bis Zeit längst in Berlin sitzen, wohin auch die dpa-Redaktion gezogen ist, reduziert sich das gedruckte Gros auf TV-Zeitschriften, mehr aber noch Regenbogenpresse vom geistigen Niveau üblicher Bild-Schlagzeilen, die auch nicht mehr an Springers Stammhaus in der Neustadt entstehen, sondern in Kreuzberg.
Dass sich die Ballermänner vom Bild-Boulevard in die Reichshauptstadt ihrer vulgär-patriotischen Erweckungsfantasien verzogen haben, ist dann aber auch schon die einzig gute Nachricht am Abstieg hanseatischer Publizistik. Denn die verbliebene Lokalausgabe von Axel Caesars Blutschweißspermapostille stellt einen Sonderfall der Presselandschaft dar: Während die Bild in jedem anderen Ballungsraum der Republik bloß die zweite Geige spielt, ist sie hier am auflagenstärksten. Und das hat auch mit der Nachfrage zu tun, mehr aber noch mit dem Angebot, also der Konkurrenz, weniger den Kunden. Denn welche Alternativen haben die schon?
Das Abendblatt etwa? Im Gegensatz zum debilen Schwesterblatt ist die Mutterzeitung der Springer-AG zwar durchaus achtbar, aber so lässig wie orthopädische Fußpflege und ähnlich unterhaltsam. Angesichts der Rückratlosigkeit erinnert allenfalls die rote Titelfarbe noch daran, dass die Mopo einst eine meinungsstarke Zeitung in SPD-Besitz war. Die tapfere, aber unterbesetzte taz dagegen mag sich strecken und recken wie ein Erdmännchen in der Schlangengrube – für echte Relevanz reicht Moral plus Selbstausbeutung nicht aus.
Und so versucht nach dem Ende der seligen Hamburger Rundschau 2002 abermals ein Wochenmagazin, die Leerstelle im Qualitätsangebot zu füllen. Doch die neue Zeit-Hamburg steht dem gediegenen Speersort eben nicht nur räumlich, sondern auch inhaltlich nah und liefert zwar anspruchsvolle Tiefenanalysen der Metropolregion; trotz begleitenden Online-Auftritts schafft der wöchentliche Modus dennoch keinen adäquaten Ersatz für das, was Medienstandorte echt adelt: eine gute Zeitung. Wie Süddeutsche, wie Tagesspiegel. Vielleicht sollte sich das Stadtmarketing mal einen realistischeren Slogan aussuchen. Irgendwas wie „Hamburg – das geschlossenste Tor zur billigsten Meile ohne Zeitung, aber mit Philharmonie, die sicher bald fertig wird“. Und falls das auf keinen Briefkopf passt: „Hamburg macht sprachlos.“
Hier geht es zu den freitagsmedien.
Foto: „Tobias Mittmann“ / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc)
http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/deed.de
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