Kultur

Premiere: 1984 – Beklemmend, weil es möglich ist

Kultur
Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Mit der Inszenierung von George Orwells düsterer Zukunftsvision „1984“ bringt das Sprechwerk ein Szenario auf die Bühne, das heute näher an der Realität ist, als der Autor des Originals es sich je hätte vorstellen können.

„Wenn die Daten im Internet mehr über mich sagen, als ich selber weiß, bin ich rechtlos“, beschreibt Protagonist Winston Smith das Dilemma der totalen Überwachungsgesellschaft, in der er lebt. Wir schreiben das Jahr 2014, eine übermächtige, alleinregierende Partei unter dem „Großen Bruder“ überwacht alles und jeden durch ein dichtes Netz digitaler Kontrollgeräte. Schon der Verdacht die Doktrinen der Partei nicht zu befolgen, oder eine eigene Meinung zu haben reicht aus, um wegen eines Gedankenverbrechens verhaftet, gefoltert und getötet zu werden. Für Winston ist es die Liebe zu Julia, die sein Schicksal bestimmt, denn auch hier gilt das Wort des „Großen Bruders“. 30 Jahre nach der Zukunftsvision, die Orwell 1948 entworfen hat, entsteht auf der Bühne des Sprechwerks in Borgfelde eine beklemmende Realität, die dem Publikum manchmal vertrauter scheint, als ihm lieb ist.

Immer wieder Gänsehaut

Das Bühnenbild im Sprechwerk ist schlicht gehalten. Die Darsteller benötigen nur wenige Requisiten, um die Vorstellung der totalen Überwachung lebendig werden zu lassen. Besonders die oft fließend ineinander übergehenden Emotionen der Charaktere werden durch die Schauspieler so eindringlich vermittelt, dass sich beim Zuschauer immer wieder eine Gänsehaut bildet. Die Gefühlspalette schwankt dabei laufend zwischen Hass, Liebe, Hoffnung und völliger Verzweiflung. Besonders aber die stets präsente Angst entdeckt und eines Gedankenverbrechens angeklagt zu werden, lässt sich deutlich an den Gesichtern der Darsteller ablesen. Unterstützt wird die Illusion vom Überwachungsstaat Ozeanien durch Video- und Tonaufzeichnungen, die stellenweise so plötzlich eingespielt werden, dass der Zuschauer in seinem Sitz zusammenzuckt.

Nur Theater?

Es ist aber nicht allein die überzeugende Darbietung auf der Bühne, die das Publikum in seinen Bann schlägt. Die geschickte Verknüpfung von Orwells Werk und aktuellen gesellschaftlichen Debatten zusammen mit den Möglichkeiten moderner Technik, lassen die Frage aufkommen ob wir 2014 nicht schon längst in der Welt von 1984 leben. Da werden Flüchtlingsboote erwähnt, die man im Meer versenkt oder Datensammlungen, die zunächst gezielte Werbung ermöglichen und später politische Entscheidungen steuern. Später werden auf der Bühne sehr direkt Folterszenen nachgestellt, die eindringlich an Geschichten aus dem US-Lager in Guantanamo erinnern. Das Geschehen auf der Bühne rückt so immer mehr an die Realität heran. „Sie nennen es das Internet der Dinge, es wird uns tagtäglich begleiten, ohne, dass wir es merken“, prophezeit Winston in einem seiner Monologe.

Ganz zum Schluss fällt schließlich in einem überraschendem Finale endgültig die immer dünner gewordene Grenze zwischen Fiktion und Realität. Winston und die schlimmsten Befürchtungen von George Orwell sind endgültig im 21. Jahrhundert angekommen. Der Schlusspunkt einer beklemmenden aber herausragenden Aufführung, die wichtige Fragen stellt. Wer die Gefahren der wachsenden Überwachung noch immer nicht erkannt hat, sollte unbedingt ins Sprechwerk gehen.

„1984“ wird noch an folgenden Terminen im Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23, aufgeführt:

29.8. und 30.8. jeweils um 20 Uhr
31.8. um 18 Uhr
23.09., 24.09., 25.09. jeweils um 20 Uhr
05.12., 06.12. jeweils um 20 Uhr

Kartenpreise:
Vorverkauf: 18,30 Euro, ermäßigt 11,70 Euro
Abendkasse: 19 Euro, ermäßigt 12,50 Euro

 

Kommentare anzeigen (2)

2 Kommentare

  1. Markus

    2. September 2014 at 12:31

    „20 Jahre nach der Zukunftsvision, die…“
    Ich fühle mich plötzlich 10 Jahre jünger.
    😉

    • Dominik Brück

      Dominik Brueck

      2. September 2014 at 12:33

      Dass es so lange gedauert hat, bis es jemandem auffällt zeigt aber auch, dass nicht nur ich schlecht in Mathe bin^^ Ist korrigiert. Danke für den Hinweis!

Artikel kommentieren

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Mehr in Kultur

Bothmer-Nosferatu+

Kulturtipp: Nosferatu zu Gast in der Laeiszhalle

Judith Behnk3. März 2016
Ausstellungsansicht "Geniale Dilletanten - Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland"

„Geniale Dilletanten“: Experimente zwischen Lärm und Klang

Judith Behnk5. Februar 2016
moritz_neumeier_by_mathias_becker_02

Im Kern verrückt, die Hülle immer wieder neu – der Hamburger Comedy Pokal 2016

Felix Rasmus Willeke3. Februar 2016
Valerie Bayol

Künstlerporträt: Valérie Bayol – Von Hexen, Zauberern und Drachen in St. Georg

Judith Behnk28. Januar 2016
Gefahrengebiete und andere Hamburgensien

Tipp der Woche: „Gefahrengebiete und andere Hamburgensien“

Isabella David15. Dezember 2015
Asyland Hamburg

Tipp der Woche: Mit „Asyland“ die Perspektive wechseln

Isabella David8. Dezember 2015
Kraftwerk Bille - Hallen

Producers Artfair: „Ein Labor des Austausches“

Judith Behnk9. September 2015
Peotry Slam, Patrick Salmen, Foto: Jelena Malkowski

Weltrekord: Größenwahnsinniger Poetry Slam

Jelena Malkowski28. August 2015
"Kampf der Künste"-Moderator Michel Abdollahi im vollbesetzten Schauspielhaus (Foto: Jan Brandes).

Weltrekordversuch im Dichterwettstreit

Jelena Malkowski26. August 2015

Rund um Billstedt, Billbrook und Horn atmet die grüne Lunge der Stadt. In Hamm, Rothenburgsort, Borgfelde, Hammerbrook, St.Georg, der Alt- und Neustadt, und auf St. Pauli riecht und schmeckt man Hamburg an jeder Straßenecke. Die Hafencity glänzt und glitzert im Schatten der dicken Pötte und Kräne.

Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

Das ist Hamburg-Mitte, unser Bezirk inmitten einer lebhaften Stadt. So vielfältig wie seine Bewohner sind die Geschichten, die wir erzählen.

Mittendrin ist Name und Programm – täglich sind wir unterwegs und bringen euch spannende Reportagen, aktuelle Lokalnachrichten und ausdrucksstarke Bilder und Videos aus Hamburgs bunter Mitte.

Hamburger Geschichten

© 2012 - 2015 Mittendrin | Alle Rechte vorbehalten. Impressum - Umsetzung Politikwerft Designbüro.