Stadtgespräch

Kolumne Wahnsinnsstadt: „Verkehrskontrollen“

Stadtgespräch
Jan Freitag

Freier Journalist und Autor | Blog: http://freitagsmedien.com/ | Schreibt bei Mittendrin über die "Wahnsinnsstadt" Hamburg und den wöchentlichen TV-Dschungel

In Hamburg wird der Verkehr regelmäßig kontrolliert – nur nicht gerecht. Es trifft meistens alle, die mit Muskelkraft auf zwei Rädern unterwegs sind.

Seltsame Prioritäten zu setzen zählt seit jeher zur hanseatischen Kernkompetenz. Schon der namensgebende Handelsbund hat zur Blüte der Ostseepiraterie Großteile ihrer Investitionen in die Sicherung der Koggen gesteckt und etwas kleinere ins Wohl der Seeleute. Im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte hätte man sich dann dieselbe Energie der Bürgerschaft zur Armutsbekämpfung gewünscht wie bei der Vertreibung ihrer Betroffenen aus dem innerstädtischen Raum. Und heute? Fließt praktisch der gesamte Straßenverkehrsetat in die Automobilität, während die ohnehin kargen Mittel für Radwege allein 2012 um 20 Prozent sanken.

Wildwest auf zwei Rädern?

Politisch Verantwortliche jeder Couleur sorgen sich hierzubundeslande eben seit jeher vornehmlich ums geschmeidige Fortkommen der – an Geld wie an Einfluss – Reichen. Außer, es geht um die Rechtstreue vom schäbigen Rest; dann gibt der Stadtstaat schon mal richtig Gas. Man konnte das Ende Juli gut an ein paar Knotenpunkten im Bezirk Mitte beobachten. Mit mächtigem Personalaufwand hat die Polizei dort Kreuzungen kontrolliert – nein, nicht um dem überbordenden Autoverkehr auf die Tachonadeln zu gucken. Sondern all jenen auf ihre Lenker, die Bildmopoabendblatt quartalsmäßig unterm Brüllbegriff „Rad-Rowdies“ in Sippenhaft nimmt.

Und die Bilanz der Offensive liest sich ja auch staatszersetzend bis terroristisch: 290 Verstöße gegen die StVO vom Telefonieren über Lichtzeichenmissachtung bis Bremsdefekt zeugen von einer Art Wildwest auf zwei Rädern. Da können die alle von Glück reden, dass von Schusswaffen kein Gebrauch gemacht wurde; wenn sich Hamburgs Exekutive nämlich mal in einen Feind verbeißt, dann ultimativ. Ansonsten bleibt sie lieber zahnlos, was jene drei Fußgänger bezeugen, die bei der Aktion fürs Überqueren roter Ampeln belangt wurden. Drei! (3!!) Da hat die Polizei offenbar andere Prioritäten gesetzt – auch wenn die der Verkehrssicherheit so zuträglich waren wie das, was regelmäßig an der Altonaer Straße geschieht.

Freie Fahrt für freie Bürger?

Immer wieder wird dort auf Höhe einer gynäkologischen Privatklinik geblitzt. Klingt sinnig, fast als ginge es der örtlichen Politik um Verkehrsflüsse, Rechtsdurchsetzung, Risikoabwehr. Allein – wer nicht grad auf dem Niveau italienischer Sportwagen beschleunigt, wird an der Stelle dank enger Wegführung voller Ampeln kaum je das Tempolimit knacken. Und falls doch, müssten sich die durchführenden Ordnungshüter eigentlich nur noch 100 Meter vorm Lichtmessgerät mit albernen Hüten auf Tennisschiedsrichterstühle in der Fahrbahnmitte setzen – besser als bislang würden Raser in spe auch nicht gewarnt als jetzt, wo die Kontrolleure selbst für geistig Abwesende so frühzeitig erkennbar sind, dass garantiert noch keiner auf dieser Streife geblitzt wurde.

Womit der Verdacht naheliegt: Die Stadt will hier zwar um der Statistik Willen Aktionismus auch dem Pkw gegenüber zeigen, die freie Fahrt freier Bürger aber keinesfalls drosseln. Sonst würde nicht vornehmlich an derart unnötigen Straßen oder ab und an publikumswirksam vor Kitas geblitzt, sondern da, wo man auch mal wen erwischt. Aber ums Erwischen geht es ja nicht. Es geht um Präsenz, Einschüchterung, das Recht des Pferdestärkeren. Zum Ausgleich könnte man die Polizei vielleicht mal bitten, an ein paar Knotenpunkten Fußgänger zu kontrollieren, die auf dem Radweg gehen. Das ist laut §25 StVO ebenso gängig wie bußgeldpflichtig, wird aber nirgends je geahndet. Gibt halt andere Prioritäten. Sie gelten allem, was Pedale hat.

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Bild: By MissyWegner (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Kommentare anzeigen (7)

7 Kommentare

  1. Fahrrad

    6. August 2014 at 10:54

    Ich wohne seit zwei Jahren in Eimsbüttel, besitze kein Auto und fahre ausschließlich Fahrrad. Zur Arbeit, zum Einkaufen, überall hin, jeden Tag.

    Noch nicht ein einziges Mal wurde ich von der Polizei angehalten und/oder gemaßregelt.

    Ich erkenne nicht, dass pauschal Fahrradfahrer übermäßig mit Maßnahmen überzogen werden. Ich erkenne vielmehr, dass „Zweiradmitstreiter“, welche sich wie die letzten Würste im Straßenverkehr benehmen, gezielt Addressaten polizeilicher Maßnahmen werden.

    Mein Fazit: Wer vernünftig fährt, hat nichts zu befürchten. Fahrradnazis müssen zahlen. Zu recht.

  2. Leser

    6. August 2014 at 21:40

    Was ist denn das für ein Quatsch?
    Die Struktur der Argumentation ist: Andere werden nicht genug kontrolliert, deshalb will ich auch keine Regeln beachten müssen… und bin nun beleidigt…bitte?
    Davon ab, Herr Autor: Vor dem Schreiben bitte recherchieren, wo in HH stationäre und mobile Auto- Blitzer stehen und wie oft (blitzer.de könnte helfen). Aber dann hätte dieser “Artikel“ ja gar keine Grundlage mehr.

  3. Arne

    7. August 2014 at 07:52

    Auch ich besitze kein Auto und bin meist per Fahrrad in der Stadt unterwegs. Geisterradler sind ein echtes, ernstes Problem, weil sie sich und andere gefährden. Außerdem erschweren sie anderen Verkehrsteilnehmern die Rücksichtnahme auf Radfahrer, weil durch sie das Fahrrad als unberechenbar angesehen wird. Von daher begrüße ich derartige Kontrollen. Dieses „warum kontrolliert ihr nicht die anderen“ Gerede finde ich ehrlich gesagt kindisch.

  4. Marcus

    7. August 2014 at 12:47

    Auch ich kann dem Kanon der Meinungen meiner Vorredner zustimmen:
    Wenn man sich als Fahrradfahrer an die Regeln hält – und das ist bei der schwierigen Radwegesituation in der Hansestadt nunmal unbedingt notwendig – dann hat man nichts zu befürchten und zumindest die Polizei steht einem nicht im Weg.

    Allein wenn ich daran denke, wieviele unbeleuchtete Fahrräder mir abends auf dem Heimweg in falscher Fahrtrichtung bei gleichzeitig vorhandenem Richtungsfahrradweg an der Grindelallee entgegenkommen – da muss ich mich einfach nur schämen.
    Einerseits möchten Fahrradfahrer in Hamburg mehr beachtet werden, andererseits sind sie unfähig oder nicht willens, wenigstens mal für Licht am Zweirad zu sorgen. Wie soll das den Behörden vermittelt werden?

    Andererseits stimme ich Jan Freitag zu, in dem Autofahrer an neuralgischen Punkten zu wenig wirklich streng kontrolliert werden – und wenn dann eben NUR die Geschwindigkeit, dabei gibt es noch tausend andere Verkehrsregeln, außer das Tachometer im Auge zu behalten.

    Gerade an Einfahrten in Hauptverkehrsstraßen (gerade solche ohne Ampel, aber auch mit Fußgängerampeln) kommt es immer wieder zu schwierigen Situationen, weil Autos ihren Blinker nicht setzen, zu weit vorfahren, ankommende Fahrradfahrer nicht bemerken oder einfach gar nicht vor der Abbiegung richtig stoppen, so dass Fahrradfahrer gar keine Chance haben, die Kreuzung geradeaus zu überqueren, ohne sich dabei in Lebensgefahr begeben zu müssen.

    Die mangelnde Verkehrskontrolle der Vierräder hat für mich aber nur bedingt mit den Kontrollen an Zweirrädern zu tun und ich finde: Beides ist richtig und wichtig, da es auf beiden Seiten immer wieder Verstöße gibt und gefährliche Situationen bewusst in Kauf genommen werden.

  5. uta

    10. August 2014 at 20:13

    Als Fussgänger werde ich auf dem Gehweg regelmässig haarscharf von Fahrradfahrern in rasender Geschwindigkeit umfahren, obwohl es direkt daneben einen Radweg gibt.
    Weist man sie freundlich/neutral darauf hin, hört man: „Halt doch die Schnauze“.
    Es ist dreist und unverschämt, wie dsich die Radfahrer verhalten.
    Mehr Kontrollen können da nur helfen!

  6. Jan

    23. August 2014 at 20:41

    Ich kann Marcus nur aufs entschiedenste Widersprechen:
    „Wenn man sich als Fahrradfahrer an die Regeln hält – und das ist bei der schwierigen Radwegesituation in der Hansestadt nunmal unbedingt notwendig – dann hat man nichts zu befürchten und zumindest die Polizei steht einem nicht im Weg. “
    Aufgrund der schlechten, oftmals rechtswidrigen Radverkehrsinfrastruktur ist es für Radfahrer empfehlenswert, manche Verkehrsregeln zu ignorieren. Meine gefährlichsten Situationen im Radverkehr, die ich erlebt habe, sind in Situationen entstanden in denen ich mich 100%ig korrekt verhalten habe: Auf dem benutzungspflichtigen Radweg abends (mit Licht unterwegs), ein LKW biegt viel zu schnell nach rechts ab – ohne Vollbremsung meinerseits hätte ich zu der Hälfte der Radfahrer gehört, die bei ähnlichen Unfällen getötet werden (oder schwer verletzt). Auf der Straße fahrend wäre diese gefährliche Situation nicht entstanden, statistisch gesehen fährt man dort 4 mal sicherer als auf dem Radweg – aber leider oft in einer Grauzone (eine rechtswidrige Radwegbenutzungspflicht muss befolgt werden obwohl sie rechtswidrig ist, allerdings gibt es auch materiell rechtswidrige Radwegbenutzungspflichen und besondere Umstände, unter denen die Radwegbenutzungspflicht nicht befolgt werden muss…).

    Andere Verkehrsregeln wie z.b. die Beleuchtungspflicht halte ich durchaus für sinnvoll, wobei auch da meines Erachtens eine Regelmissachtung weniger schwer wiegt als z.b. zu schnelles Autofahren oder falschparken, da der unbeleuchtete Radfahrern in erster linie sich selbst und nicht andere gefährdet.

  7. Fußgänger

    7. September 2014 at 20:10

    Radfahrer können gar nicht genug kontrolliert werden! Die Polizei würde bei Panten un Blomen kassieren können bis der Arzt kommt! Nach Durchqueren der Anlage hatte gut 250 Radfahrer gezählt! Dabei ist dort nicht nur Radfahren verboten, sondern bereits die Mitnahme des Drahtesels!!!!!

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