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Poetry Slam in Berlin: Eine Antwort auf Alltagssexismus

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Im poetischen Kampf der Städte kann sich Hamburg mit viel Klamauk am Ende knapp gegen Berlin durchsetzen. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt jedoch das bewegende Stück von Bente Varlemann gegen Sexismus im Alltag.

Aus Berlin berichtet Patrick von Krienke

Die Volksbühne im Berliner Osten ist verdammt voll für einen Dienstagabend. Draußen steht in großen Lettern Berlin vs. Hamburg. In schwarzer Frakturschrift auf neongelbem Grund – das ist in dieser Spielzeit die Erkennungsmarke des Hauses. Auf den ersten Blick sieht es nach Boxkampf aus. Doch es ist ein Poetry Slam. Die Regeln sind einfach. Eigene Texte, vom Autoren selbst vorgetragen, fünf Minuten lang. Am Ende entscheidet die Jury über die Punktevergabe von 1 bis 10.

Ein Fest der leichten Texte

Der Auftakt aus der Hansestadt ist eher mäßig. Jörg Schwägler aus Eppendorf berichtet von einem Marienkäfer, der sich im Vorfrühling in seine Computertastatur verirrt. „Wenn er seine Ruhe haben will – der Lutz – dann kraucht er unter die Windowstaste. Die betätigt sowieso nie einer.“ Freundliches Lachen, eine gute aber nicht berauschende Bewertung folgen. Zugegeben davor hatte B. Böttcher aus Berlin mit einem nahezu dadaistischen Rap aus Alliterationen auch nicht gerade für furiosen Aufruhr gesorgt. Fabian Navarro aus dem Hamburger Team rezitiert ein Liebesgedicht, dass auf die Zeile endet „…schade, dass man Bier nicht ficken kann“ und erntet von den jugendlichen Zuhörern ebenso viel zustimmendes Gelächter wie Volker Strübings (Berlin) Auslegung des Frühlings als Kapitalismuskritik mit der schönen Zeile „Fick den Frosch – der Lenz ist da!“. Alles ziemlich ausgeglichen mit leichtem Vorsprung für Berlin. Die leichten Texte prägen die Veranstaltung. So ist das bei Poetry Slams. Unter dem Zwang des Mainstreams im Dichten überwiegen die Texte, die es schaffen innerhalb von fünf Minuten die größte Kontraktion der Lachmuskeln zu erzwingen.

„Was ich habe“

Doch dann betritt Bente Varlemann aus Hamburg die Bühne. Zugegeben den Text mit dem Titel „Was ich habe“, den die 28-jährige Studentin in den nächsten knapp fünf Minuten zum Vortrag bringt ist nicht neu – auf Youtube kursiert bereits eine Aufnahme vom letzten Jahr. Dennoch steht in den gespannten und schockierten Gesichtern der Zuhörer eines klar geschrieben: Warum hat es den Slam Hype im letzten Jahr um Julia Engelmann mit ihrer Teenie-Philosophie gegeben und nicht um die laute und notwendige Anklage von Bente Varlemann? In dem Stück geht es um Sexismus. Es geht um Gewalt. Es geht um Enttäuschung und um Unsicherheit im öffentlichen Raum – kurz um den ganz normalen Wahnsinn, dem eine junge, nicht unattraktive Frau in unserer Gesellschaft offenbar ausgesetzt ist. „…und dann sind da Menschen, die meinen mich einfach anfassen zu können. An meinen Armen. An meinem Rücken. An meinem Kopf. An meinem Arsch.“ Von den ganzen Demütigungen der Jahre habe sie Schürfwunden von vom Fallen und stramme Waden vom Wiederaufstehen. Die Argumentation irritiert, weil sie so selbstverständlich ist. „Ich werde behandelt wie ein Gegenstand und das will ich nicht“, ist die Forderung der jungen Frau.

Knapper Sieg für Hamburg

Dennoch scheint die Wirklichkeit im Jahre 2014 eine andere Sprache zu sprechen. Es scheint normal, dass eine Frau nur Tabu ist, wenn sie bereits einen Freund hat. „Ich werde ständig auf das Frau sein reduziert. Ich bin aber Mensch“, lautet ein Satz der danach in der Pause bei vielen Zuhörern nachschwingt. Die Reaktion im Publikum ist verhalten, aber als ein jugendlicher Juror, der mit seiner Klassenfahrt aus Emden hier ist eine „4“ vergibt geht lauter Unmut durch den Raum. Am Ende steht es 213:213 und die Finalrunde muss den Ausschlag geben. Alt-Glienicke gegen Rothenbaum – Japer Dietrichsen gegen das Berliner Hipsteridol Mick Pötter. Nach einem Text voller schlechter Mutterwitze von Pötter und einem Klamauk zwischen Einwohnermeldeamt und Schöfferhofer Weizen von Dietrichsen gewinnt Hamburg knapp – aber nicht unverdient.

Wer auch in Hamburg bei einem Poetry Slam zu Gast sein möchte, hat hier die Gelegenheit dazu.

Foto: Yolo (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

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