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Kinderärztin: Yagmur wurde schon früh misshandelt

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Frederic Zauels
@fredericzauels

Redakteur für Politik und Kultur | B.A. Politikwissenschaften, M.A. Journalistik | Kontakt: zauels@hh-mittendrin.de

Während viele MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Hamburg ihre Aussage verweigern, berichtet Yagmurs frühere Kinderärztin, dass Misshandlungen wahrscheinlich schon im Jahr 2011 stattgefunden haben.

Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum gewaltsamen Tod des dreijährigen Kindes Yagmur aus Billstedt wurde gestern eine Sozialarbeiterin aus Bergedorf verhört. Die anderen geladenen MitarbeiterInnen des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) in Hamburg verweigerten, wie schon vorher bekannt wurde, die Aussage. Darunter auch die Mitarbeiterin, die Yagmur zurück zu den leiblichen Eltern ließ, obwohl es noch keine Entscheidung des Familiengerichts gab. Öffentlich waren hingegen die Aussagen der Kinderärztin von Yagmur, die überraschend und für den Ausschuss neu schon im Jahr 2011 Misshandlungen an dem Kind feststellte, diese allerdings nicht bei öffentlichen Stellen meldete, obwohl Kinderschutzrichtlinien eine Meldepflicht vorsehen.

„Das ist ein kleiner Schock“, sagte Christiane Blömeke von den Grünen sichtlich betroffen zu den Aussagen von Yagmurs Kinderärztin Brigitte von Bosse. Diese erzählte dem Ausschuss gestern, dass sie schon am 9. Mai 2011 erhebliche Misshandlungen an Yagmur festgestellt habe. Multiple Hämatome an beiden Oberarmen, im Brustbereich und am Unterbauch hätten die damals erst Einjährige gezeichnet. Der Ausschuss wusste bis gestern nichts von dieser Diagnose. Es war lediglich bekannt, dass die Ärztin nur eine Woche zuvor Hämatome an beiden Jochbeinen feststellte, diese aber nicht als Misshandlungen interpretierte, sondern als Spielunfälle abtat. Der Ausschuss zeigte sich daraufhin geschockt und verwundert, auch wenn die Erkenntnisse zum bisherigen Aufklärungsbild passen. Abermals sind offenbar eindeutige Warnsignale für die Gefährdung des Kindeswohls missachtet worden.

Die Kinderärztin Brigitte von Bosse berichtet gestern im PUA, dass Yagmur schon früh Missbrauchsspuren. aufwies. Foto: Jonas Walzberg

Die Kinderärztin Brigitte von Bosse berichtete gestern im PUA, dass Yagmur schon früh Missbrauchsspuren aufwies. Foto: Jonas Walzberg

Von Bosse sagte, sie habe Yagmur bei ihrer Pflegemutter gut aufgehoben gewähnt und dieser lediglich empfohlen, die Misshandlungen fotografisch zu dokumentieren und dem Jugendamt zu melden. Selbst meldete sie ihre Diagnosen weder dem Kinderkompetenzzentrum des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), einer spezielle Anlaufstelle für misshandelte Kinder, noch der Krankenkasse oder der Polizei. „Das war für mich sonnenklar, dass die Pflegemutter zum Jugendamt geht“, begründete von Bosse ihr Vorgehen. Yagmur sei immer glücklich in ihre Praxis gekommen, man habe ihr nicht angemerkt, dass sie misshandelt werde und bei ihrer Pflegemutter habe sie doch Schutz genossen, so von Bosse weiter. Einige Ausschussmitglieder ließ diese lapidare Herangehensweise allerdings nur mit dem Kopf schütteln. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Pflegemutter die Ärztin mit der Befürchtung aufsuchte, dass Misshandlungen der Eltern bereits stattgefunden haben.

Die neuen Erkenntnisse führen nun vermutlich zu einer weiteren Befragung der Jugendämter. Die zuvor verhörte Sozialarbeiterin aus Bergedorf verwies laut den Aussagen von Blömeke darauf, dass die Jugendämter in Hamburg unterbesetzt seien, versuchte so die Schuld bei anderen Institutionen zu suchen. Die ASD-Mitarbeiterinnen überreichten dem Vorsitzenden des Ausschusses André Trepoll (CDU) sogar ein vierseitiges Schreiben, in dem sie ihre Probleme im Arbeitsalltag schildern und Verbesserungen fordern. Doch wenn die Pflegemutter tatsächlich die schweren Verletzungen Yagmurs, wie von der Kinderärztin diagnostiziert beim Jugendamt meldete, scheinen auch dort eindeutige Signale, die auf eine Gefahr für Yagmur hindeuteten, miss- oder gar nicht verstanden worden zu sein.

Yagmur starb am 18. Dezember 2013 an den Folgen eines Leberrisses. Ihr Körper war übersät mit 60 Hämatomen. Inzwischen wurde gegen die leibliche Mutter ein Strafantrag gestellt. Auch der zuvor als Täter gehandelte Vater sitzt in Untersuchungshaft, weil er seiner Tochter nicht geholfen habe. Yagmur war seit ihrer Geburt in der Obhut verschiedener Jugendämter. Gegen einige Mitarbeiterinnen der Sozialdienste laufen Ermittlungsverfahren wegen schwerer Versäumnisse.

Fotos: Jonas Walzberg

Kommentare anzeigen (2)

2 Kommentare

  1. Ralf

    16. Mai 2014 at 14:09

    Das kann einen nur fassungslos machen! Hamburg die Hauptstadt der sozialen Unfähigkeit.

  2. michael

    25. November 2014 at 16:44

    Ich habe eine tochter die genauso alt ist wie yagmur. Das diesem kleinen Mädchen niemand geholfen hat ist so grausam das mir schlecht wird.

    Teile des Kommentars wurden entfernt. Bitte bleiben Sie sachlich, auch wenn es schwerfällt. Die Redaktion

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