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Bezirkswahlen – „Juckt doch nicht, ob ich wählen gehe“

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Sally Eshun
@sall_e

Redakteurin bei Hamburg Mittendrin und Freihafen | Email: eshun@hh-mittendrin.de

Zum ersten Mal dürfen Hamburger Jugendliche ab 16 Jahren bei der Bezirkswahl mitbestimmen. Bei vielen scheint die Nachricht jedoch nicht angekommen zu sein – oder es ist vielen egal. Warum eigentlich?

Euphorische Wahlatmosphäre unter den Erstwählern? Fehlanzeige. Unter ihnen scheint eher Gleichgültigkeit oder komplette Ignoranz zu herrschen. Einige mussten sogar daran erinnert werden, dass es diesen Sonntag an die Urne geht oder gehen sollte. Was das Klischee der Politikverdrossenheit von Jugendlichen bedient, ist traurige Realität: Viele glauben nicht wählen zu müssen, weil es ja angeblich sowieso keine Auswirkungen hätte und die jungen Wähler nichts ändern könnten. „Juckt doch nicht, ob ich wählen gehe“, sagt eine Altersgenossin und bringt es somit auf den Punkt.

Schlechte Erinnerungen an die Bundestagswahl

Die Bundestagswahl liegt noch nicht einmal ein Jahr zurück. Es wurden viele Kampagnen ins Leben gerufen. Egal ob Privatsender, die Bundeszentrale für politische Bildung oder kleinere Vereine. Junge Menschen sollten die Möglichkeit wahrnehmen, sich aktiv für die Gestaltung ihres Landes beteiligen zu können. Jedoch blieben die Bilder von lustlosen Politikern bis heute im Kopf. Sie beteten ihre Parteiprogramme auf Knopfdruck runter und gingen kaum auf die Jugendlichen ein. Eine Erstwählerin durfte sich damals sogar vom jetzigen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) anbellen lassen, weil sie sich doch gefälligst selbst über die Wahl informieren solle und dies nicht seine Aufgabe sei. Solch eine Attitüde animiert Jugendliche garantiert nicht zum Wählen. 

So, wie viele Stimmen hat man nochmal?

„Ich weiß doch gar nicht, wo und wie ich wählen soll“, sagt mir ein verunsichertes 16-jähriges Mädchen. 2009 wurde das Wahlrecht geändert, was dazu führte, dass man nun 2 x 5 Stimmen hat. Mit dem gelben Stimmzettel wählt man über die Bezirkslisten welche Partei wie viele Sitze in der Bezirksversammlung bekommt und in welcher Reihenfolge die Kandidierenden in die Bezirksversammlung einziehen. Mit den roten Stimmzetteln wählt man die Kandidaten direkt in die Bezirksversammlung.

„Kind, lernst du sowas nicht in der Schule?“

Meine Mutter wunderte sich, als ich versuchte mich mit dem ungewohnten Wahlrecht vertraut zu machen. Sie ging davon aus, dass die Bezirkswahl und alles was dazu gehört in der Schule behandelt wird. Und erst dann viel mir auf, dass es gar nicht besprochen wurde. Ich habe in meinem Freundeskreis rumgefragt und erfahren, dass es bei denen sehr ähnlich war. Wolfdietrich Thürnagel, Spitzenkandidat der Piraten im Wahlkreis Billstedt-Süd, erklärt sich das so: „Es besteht die Angst, dass die Erstwähler nicht wie ihre Eltern wählen. “ Seiner Meinung nach, ist dies der Grund warum die großen Parteien im Wahlkampf kaum darüber informieren, dass auch Jugendliche ab 16 wählen dürfen. Wie sollen Jugendliche mit der Politik vertraut werden, wenn sie nicht einmal in der Schule informiert werden? Wenn sie am Ende wählen sollten, tun sie dies sehr verunsichert und letzten Endes dann doch wie ihre Eltern.

Wer nicht wählen geht, darf sich nicht beschweren

Wählen zu dürfen ist ein Privileg, was viele als selbstverständlich nehmen. In anderen Ländern kämpfen Menschen für mehr Rechte und Beteiligung, während wir überlegen ob es sich überhaupt lohnt. Ja, es lohnt sich auf jeden Fall. Besonders die Bezirksversammlung entscheidet über Ereignisse und Vorhaben vor der eigenen Haustür. Bundestagsabgeordnete scheinen viel zu weit entfernt und unerreichbar. Kandidaten der Bezirkswahl trifft man jedoch im Supermarkt oder in der U-Bahn, wenn sie gerade nicht an der eigenen Haustür stehen und nach einer Tasse Mehl fragen. Sie sind so nah an uns Wählern dran und oft begreifen wir das nicht. Lehrer und Politiker müssen in die Verantwortung genommen werden, damit sich die Jugend bewusst macht, was eigentlich passiert. Aber vor allem müssen die Jugendlichen selber sehen, dass sie durchaus etwas verändern können und müssen. Denn wer nicht wählen geht, darf sich nicht beschweren.

Kommentare anzeigen (4)

4 Kommentare

  1. ichoderdu

    25. Mai 2014 at 15:06

    Warum soll ich mich nicht beschweren dürfen wenn ich nicht wählen gehe? Wenn das was ich will gar nicht auf dem Wahlzettel zu finden ist? Z.b. offene Grenzen für alle, besseres Leben, bessere Löhne oder freie Wahl der Arbeit? Wer meint er könnte mit einem Kreuz alle paar Jahre wirklich etwas bewegen der ist doch total realitätsfremd. Wirkliche Veränderungen die auch wirklich die Gesellschaft verändern werden auf der Straße erkämpft und nicht in Wahl Shows.

    • Martin

      26. Mai 2014 at 08:22

      Bei der Bezirkswahl spielt das in der Tat keine Große Rolle, aber was du forderst ist eigentlich auch Programm der Linken.

  2. Lisa

    25. Mai 2014 at 15:18

    Ich gehe nicht wählen, weil das Recht dazu habe. Punkt. Und ich darf mich dennoch beschweren.

  3. Jörn

    29. Mai 2014 at 19:02

    Bin Wahlvorsteher eines Wahllokals im Schanzenviertel. Dem jungen Mann, der als erster 16-/17-Jähriger gegen 13 Uhr mittags seine Bezirkswahl-Stimmhefte in die Wahlurne geworfen hat, habe ich gratuliert und die Hand geschüttelt. Man konnte die Jungwähler, die die abgesenkte Altersgrenze wahrgenommen haben, leider an zwei Händen abzählen….
    Das Foto zum Bericht ist erklärungsbedürftig. Das hat hh-mittendrin.de in meinem Wahllokal fotografiert. Wir waren eines von 2.500 Urnenwahlbezirken bundesweit, die vom Bundeswahlleiter für eine repräsentative Wählerstatistik ausgewählt worden waren. Nur hier waren die Stimmzettel zur Europawahl nach Altersklassen und Frau/Mann gekennzeichnet, die wir differenziert nach den Kennziffern (hier „G“) im Wählerverzeichnis an die Wähler/-innen ausgegeben haben. Später werden die Stimmzettel im Statistischen Landesamt nochmal gezählt – das Wahlgeheimnis ist aber absolut gewahrt.

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