Politik

Abriss der Esso-Häuser: „Ein Recht auf Stadt kriegt man nicht geschenkt“

Politik
Mittendrin
@HHMittendrin

Mittendrin ist das Online-Nachrichtenmagazin für den Bezirk Hamburg-Mitte. Auf unseren Seiten stellt ein junges Team von Redakteuren aktuelle und spannende Geschichten aus dem Herzen Hamburgs für unsere Leser zusammen.

Am Mittwochabend demonstrierten auf St. Pauli mehr als 500 Menschen gegen den Abriss der Esso-Häuser. Die lautstarken Forderungen: 100 Prozent sozialer Wohnraum in einem Neubau und die Beteiligung des Stadtteils an der Gestaltung Esso-Areals.

Von Tobias Johanning, Kristin Brüggemann, Henriette Bunde, Michelle Meinders & Isabella David 

Bereits seit Monaten ist klar – an „Tag X“ wir es laut auf St. Pauli. Immer wieder wurde „Tag X“ verschoben, eine Schonfrist auf Zeit. Jetzt ist klar, „Tag X“, das ist der 7. Mai 2014. Seit Mittwochmorgen laufen die Abrissarbeiten an den Außenfassaden der Esso-Häuser an der Reeperbahn. Auch Regen und Gewitter konnte die rund 500 TeilnehmerInnen am Abend nicht davon abhalten, lautstark ihre Solidarität mit den ehemaligen BewohnerInnen des Kiez-Ensembles zu bekunden. Mit Kochtöpfen als Trommeln, Vuvuzelas und Megaphonen trieben die DemonstrantInnen den Lautstärkepegel der Lärmdemonstration in die Höhe. Die unaufhaltsam fortschreitenden Abrissarbeiten an der Kiezlegende Esso-Häuser sind für die Initiativen im Stadtteil jedoch keinesfalls der Endpunkt für ihre Forderungen: 100 Prozent Sozialwohnungen in einem Neubau und Mitspracherecht bei den Bauplanungen fordern die „Initiative Esso-Häuser“, „SOS St. Pauli“ und „St. Pauli selber machen“.

Christoph Schäfer, ein Sprecher der „Initiative Esso Häuser“ will dieses Mitspracherecht mit einer „PlanBude“ auf dem Spielbudenplatz durchsetzen. Diese soll Treffpunkt für AnwohnerInnen und Interessierte werden, um eine Diskussion über die zukünftige Gestaltung des Esso-Areals zu ermöglichen und konkrete Vorschläge für den Neubau zu machen. Auch die alten Gastronomiebetriebe, wie Molotow-Club und Planet Pauli, sollen dort sichtbar sein, „damit sie mit dem Abriss der Häuser nicht aus dem Gedächtnis des Viertels verschwinden“, so Schäfer. Es solle eine demokratische Baustelle entstehen, auf der offen über die Zukunft des Viertels diskutiert werden kann.

Verregneter Abschied: „Das da unten an der Tanke ist der Dorfplatz man“

Bereits am Mittag fand am Zaun der ehemaligen Esso-Tankstelle eine Kundgebung ehemaliger BewohnerInnen der Häuser statt. Die über die Stadtgrenzen bekannte „Kieztanke“ wurde bereits im Februar abgerissen. Etwa 80 Personen nahmen an der Kundgebung teil. Viele von ihnen haben die nächtliche Evakuierung der Esso-Häuser im Dezember 2013 selbst miterlebt. „Der Regen passt zum traurigen Anlass und gibt die Stimmung der Betroffenen wieder“, sagt Cristoph Schäfer von der „Initiative Esso-Häuser“. Nach einer kurzen Ansprache bog ein sechsköpfiger, schwarz gekleideter Megafonchor um die Straßenecke und machte seinem Ärger auf künstlerische Weise Luft. Der Sprechgesang des Megaphonchors setzt sich aus Statements von BewohnerInnen zusammen. Viele AnwohnerInnen nutzen die Kundgebung auch, um ein paar letzte Blicke auf die lieb gewonnen Esso-Häuser zu werfen. Aus diesem Grund errichteten sie aus Holzpaletten eine große provisorische Treppe, mit der sie über den Bauzaun auf ihre alten Wohnungen schauen konnten.

Die Bayerische Hausbau versicherte in der Vergangenheit immer wieder, sie werde sich an das garantierte Rückkehrrecht der ehemaligen BewohnerInnen halten. Steffen Jörg von der „Initiative Esso-Häuser“ hat jedoch kein Vertrauen in die Aussagen des Investors. Er glaubt, das Rückkehrrecht sei an bestimmte Bedingungen gebunden und, dass es nicht umgesetzt werde, wenn die Bayerische Hausbau mehr als die geplanten 30 Prozent Sozialwohnungen umsetzen muss. Jörg appelliert an die Bezirkspolitik, die Bedürfnisse der Menschen durchzusetzen. Die Bezirkspolitik fordert von der Bayerischen Hausbau mindestens 50 Prozent sozialen Wohnraum in einem Neubau auf dem Esso-Häuser Grundstück umzusetzen.

Grüne: Die Stadt soll Esso-Grundstück kaufen

Im Rathaus forderte die Bürgerschaftsfraktion der Grünen am Mittwoch unterdessen, ein Kaufangebot an den Investor zu richten, um das Areal unter städtischer Regie und unter Beteiligung der Bevölkerung zu bebauen. Gleichzeitig stellte auch die SPD-Bürgerschaftsfraktion einen Antrag, in dem sie fordert, dass mindestens im Umfang der heutigen Wohnbebauung neue öffentlich geförderte Sozialwohnungen mit langjähriger Mietpreisbindung entstehen. Die Forderung der Grünen nach einem Ankauf des Esso-Grundstücks wäre aus Sicht der Sozialdemokraten aufgrund des voraussichtlichen finanziellen Aufwands sogar eher kontraproduktiv für die Entwicklung der Fläche. „Angesichts der erheblichen Anstrengungen für den Wohnungsbau in Hamburg scheint der Mitteleinsatz an dieser Stelle nicht vertretbar“, heißt es in dem Antrag der SPD-Fraktion. Dies sei insbesondere der Fall, da die Sicherung eines geförderten Anteils von 50 Prozent gegebenenfalls auch ohne Erwerb des Grundstücks erreicht werden könne. „Falls der Anteil des 1. Förderweges unter 50 Prozent des Gesamtumfangs neu geschaffener Wohnflächen liegen sollte, ist ein zusätzlicher Anteil an Wohnungen im sogenannten 2. Förderweg (8 Euro/ Quadratmeter netto-kalt) zu realisieren“, fordert die SPD. Der Antrag der Grünen wurde in der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch entsprechend der Position der regierenden SPD abgelehnt. „Die SPD macht sich mit ihrem Antrag unglaubwürdig. Das ist ein Einknicken vor den Forderungen des Investors“, sagt Olaf Duge, stadtpolitischer Sprecher der Grünen-Bürgerschaftsfraktion. Es sei voreilig, wenn die SPD die Forderung nach mindestens 50 Prozent gefördertem Wohnungsbau preisgebe. „Der Investor muss nun endlich auf uns HamburgerInnen zukommen“, meint Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Hamburg-Mitte.

„Keine Belohnung für Spekulation!“, fordert indes Fraktion die Linke in der Bürgerschaft. Die bisher diskutierten Festlegungen für den Bebauungsplan entsprächen einer solchen Belohnung. „Es gibt keine Verpflichtung für das Bezirksamt oder die Freie und Hansestadt Hamburg, die Vorstellungen der Grundstückseigentümerin, der Bayerischen Hausbau, zu realisieren. Es gibt auch keinen Anspruch der Bayerischen Hausbau auf einen neuen Bebauungsplan“, so Heike Sudmann (Die Linke). Die Fraktion fordert außerdem einen „ergebnisoffenen Planungsprozess, an dem die St. PaulianerInnen intensiv beteiligt werden“. Dafür sei die angedachte „PlanBude“ ein wichtiger Baustein der Beteiligung.

Die Gebäude fallen – der Protest geht weiter

Die Esso-Häuser waren und sind für viele St. PaulianerInnen ein Herzstück des Stadtteils. Vor allem aber, sind die Gebäude aber zu einem Symbol für Gentrifizierung und Investoren-Interessen auf St. Pauli, in ganz Hamburg und über die Stadtgrenzen hinaus geworden. Als im September 2013 mehrere tausend Menschen auf der Reeperbahn für einen Erhalt der Esso-Häuser demonstrierten, ging es vor allem um ein „Recht auf Stadt“. Damals hieß es: „Wir wollen unsere Träume und Visionen vor den Abrissbirnen retten. Die Esso-Häuser sind eine quicklebendige Legende – sind Heimat, Zuhause, Denkmal ohne Schutz!“ Nur wenige Monate später, an „Tag X“: „Dass aus den Esso-Häusern eine Baustelle wurde, konnten wir nicht verhindern. Dass sie die berühmteste Baustelle wird, das können wir versprechen!“ Auch Steffen Jörg glaubt an die Kraft des Protests auf dem Kiez: „Wir werden den Konflikt auf der Straße entscheiden! Die „PlanBude“ machen wir sonst auch ohne Unterstützung des Bezirks“, so Jörg. Denn, da sind sich die DemontrantInnen am Mittwoch einig: „Ein Recht auf Stadt kriegt man nicht geschenkt – das nimmt man sich!“

 

Fotos: Jonas Walzberg

Kommentare anzeigen (4)

4 Kommentare

  1. Carlos

    8. Mai 2014 at 16:53

    Klassischer Fall von: „Wir fordern, was auch immer, aber bezahlen soll es jemand anderes.“ Hamburg weit gilt die Maxime 30%-Anteil an Sozialwohnungen, aber auf St. Pauli gelten keine Grundsätze. „Die Nase des Investors gefällt uns nicht, darum fordern wir 50%, nein gleich 100%.“ Hoch lebe die Willkür!

    • XvX

      9. Mai 2014 at 15:11

      Tschuldige aber was laberst du für ein Müll… Die 30% Maxime ist vieles aber definitiv keine gute Lösung. Guck dir einmal den Querschnitt der Gesellschaft an und du wirst erkennen, dass „Unterschicht“, „Mittelschicht“ und „Oberschicht“ nicht im Verhältnis 1/3 aufzuteilen sind.
      Deswegen sollte dieser fremdbestimmte Grundsatz überall angefochten werden. Nun haben wir hier bei den Essohäusern mal einen Fall, wo die Forderungen der Menschen auch durchgesetzt werden könnten, da es eine gute Struktur und viele Unterstützer_innen gibt.
      Also geht es hier nicht um die Willkür der ehemaligen Bewohner_innen sonder um die Anliegen derer, die Vertrieben werden.

      Zum Schluss darf natürlich eine stumpfe Parole und ein bischen Patos nicht fehlen ;).
      Die Häuser denen die drin wohnen.

      • Carlos

        12. Mai 2014 at 13:50

        Nicht ich labere Müll sondern Du. Es ist nämlich nicht die Frage ob die 30% Maxime gut oder schlecht ist oder ob sie dem Querschnitt der Gesellschaft entspricht, sondern ob sie, wenn sie als Regel oder Grundsatz gewählt wurde, überall gleich angewendet wird.
        Die 1/3-Regel ist im Übrigen nicht neu oder gar von Olaf Scholz „erfunden“ sondern ist in der Stadtplanung als Möglichkeit zur Schaffung durchmischter Quartiere zumindest seit den 70-iger Jahren bekannt. Aber durchmischte Quartiere (und damit sozial stabile Quartiere) sind offensichtlich nicht Dein Ziel.
        Und labere bitte auch nicht über fremdbestimmte Grundsätze herum. Der Grundsatz wurde von der demokratisch gewählten Regierung bestimmt und entspricht dem Willen der Parlamentsmehrheit. Auch wenn ich dem Grundsatz nicht zustimme (schon gar nicht der SPD) so akzeptiere ich, dass sie vom Wähler dazu legitimiert wurden.
        Das ist nämlich die Wirkung von Demokratie: Die Mehrheit setzt die Rahmenbedingungen. Dies kannst Du gerne als Fremdbestimmt bezeichnen, und Du kannst auch gerne politisch dagegen argumentieren, aber nur weil Du mit einer Regelung nicht einverstanden bist, heißt das noch lange nicht, das sie illegitim ist. Im Gegenteil: Du kannst nicht nachweisen, dass Du die Mehrheit vertrittst. Nur weil, wie im Fall der Essohäuser, eine Gruppe es schafft sich lautstark Gehör zu verschaffen, bedeutet es noch nicht, dass auch die Mehrheit dahinter steht.
        Und noch ein Wort zu „den Anliegen derer, die Vertrieben werden“: Die Bayerische Hausbau als Investor hat jedem Mieter die Rückkehr in den Neubau zu einer gleich hohen Bruttomiete wie die bisherige Altbaumiete zugesichert. Ein Verhalten, welches nicht von jedem Investor so geteilt wird.
        Deine Schlussparole offenbart aber Deine geistige Heimat und um darauf ebenso dümmlich und polemisch zu antworten: „Ich hab nichts und weil ich zu faul, zu dumm oder nicht sparsam bin, dürfen andere auch nichts haben“.
        Als Beispiel wohin Deine Parole führt sei dir die Wohnungspolitik der DDR in Erinnerung gerufen, sie nannte sich im Volksmund “Ruinen schaffen ohne Waffen“.

  2. HH Mitte

    30. März 2015 at 03:52

    @ Carlos. Ihr letzter Absatz:Ich habe nichts…usw. trifft auf sehr viele Bürger zu! Wem es, aus welchen Gründen auch immer schlecht geht, wünscht seinen Mitbürgern das gleiche Schicksal!

Artikel kommentieren

Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Mehr in Politik

Demonstration Golden Pudel, 19.2.2016, Foto: Isabella David

Demo für den Pudel Club: „Unsere Ruine kriegt ihr nicht!“

Isabella David20. Februar 2016
1-Michael_Neumann_SPD1

Innensenator Neuman tritt zurück – Grote wird Nachfolger

Isabella David18. Januar 2016
Winternotprogramm Münzviertel, Oktober 2015, Foto: Isabella David

Petition an die Sozialbehörde: „Das Winternotprogramm tagsüber öffnen!“

Isabella David8. Januar 2016
Tegida Demo Januar 2015, Foto: Henry Lührs

Anpacken statt lang schnacken – das war 2015 in Hamburg-Mitte

Isabella David31. Dezember 2015
Tagesstätte für Geflüchtete, Bieberhaus, Foto: Isabella David

Tagesstätte für Geflüchtete im Bieberhaus: „Vieles ist improvisiert“

Isabella David17. Dezember 2015
Schulstreik 2013, Foto: Dominik Brück

Schüler demonstrieren: „Bleiberecht statt Waffenexporte“

Isabella David17. Dezember 2015
Hosemann, City-Hof, Foto: Isabella David

Interview: „Dem City-Hof ein Denkmal setzen“

Isabella David10. Dezember 2015
FOTO: POLITIKWERFT DESIGNBÜRO

„Basta-Politik gescheitert“: Scholz nach Olympia-Referendum in der Kritik

Isabella David9. Dezember 2015
Olympia in Hamburg

Diskussion: Olympia in Hamburg – ja oder nein?

Mittendrin27. November 2015

Rund um Billstedt, Billbrook und Horn atmet die grüne Lunge der Stadt. In Hamm, Rothenburgsort, Borgfelde, Hammerbrook, St.Georg, der Alt- und Neustadt, und auf St. Pauli riecht und schmeckt man Hamburg an jeder Straßenecke. Die Hafencity glänzt und glitzert im Schatten der dicken Pötte und Kräne.

Die andere Seite der Elbe auf der Veddel, in Wilhelmsburg, auf dem Kleinen Grasbrook, in Steinwerder, Waltershof, Finkenwerder und auf der Insel Neuwerk lässt hanseatische Tradition spürbar werden.

Das ist Hamburg-Mitte, unser Bezirk inmitten einer lebhaften Stadt. So vielfältig wie seine Bewohner sind die Geschichten, die wir erzählen.

Mittendrin ist Name und Programm – täglich sind wir unterwegs und bringen euch spannende Reportagen, aktuelle Lokalnachrichten und ausdrucksstarke Bilder und Videos aus Hamburgs bunter Mitte.

Hamburger Geschichten

© 2012 - 2015 Mittendrin | Alle Rechte vorbehalten. Impressum - Umsetzung Politikwerft Designbüro.