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St. Georg: Einblicke in das Rotlichtmilieu

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Camilla Lindner
@CamillaLindner

Redakteurin | Studentin der Anglistik und Politikwissenschaft an der Universität Hamburg | Kontakt: lindner@hh-mittendrin.de

Der Rotlichbezirk in St. Georg verändert sich: Der Stadtteil ist im Wandel, viele Häuser werden luxussaniert. Vor allem für die dort arbeitenden Prostituierten wird dies zum Problem. Am Sonntag fand eine Veranstaltung von „Ratschlag Prostitution Hamburg“ statt, die mit öffentlichen Rundgängen einen Tag lang Fragen rund um das Thema Sexarbeit in St. Georg beantwortete.

Als Frau läuft man schweigend an ihnen vorbei, als Mann wird man meist von ihnen angesprochen: Sexarbeiterinnen oder Prostituierte. Frauen, die ihren Körper für Geld einige Minuten oder Stunden verkaufen. In unserer Gesellschaft sind sie nicht gerne in der Öffentlichkeit gesehen. Eine Zukunft ohne die sexuelle Tätigkeit ist aber oft nur unter extrem schweren Bedingungen zu meistern. „Ratschlag Prostitution Hamburg“ ist ein Zusammenschluss von SexarbeiterInnen, Verbänden, Fachberatungsstellen und WissenschaftlerInnen, welche sich mit dem Thema Sexarbeit beschäftigen. Die am Sonntag durchgeführte Veranstaltung möchte das Leben von SexarbeiterInnen dem Normalbürger näher bringen und somit Vorurteile abbauen. In verschiedenen Rundgängen hatten Interessierte die Möglichkeit, Einblicke in ein Stundenhotel, Nachtclub oder SM- Studio zu erhalten. Außerdem konnte man sich in den Beratungsstellen für Prostitution wie Sperrgebiet, Ragazza e.V. und BASIS- Projekt ausführlich informieren. Und das Interesse war groß: Alle Rundgänge in den verschiedenen Bereichen waren gut besucht. Die Touren starteten  am Hansaplatz, wo Glühwein und Punsch verteilt wurden. Von dort aus lief man dann gemeinsam zu den jeweiligen Veranstaltungsorten.

Prostitution aus Armut

Die ehemalige Anlaufstelle und heutige Fachberatungsstelle für Beratung und Hilfe bei Prostitution „Sperrgebiet“ existiert schon seit 28 Jahren. Heute finden dort Frauen bis 30 Jahren Hilfe und Unterstützung von MitarbeiterInnen bei Fragen und Problemen zu Verhütung, Schwangerschaft, Krankheit oder auch bei einem Austritt aus dem Beruf. Bei „Sperrgebiet“ sind ebenfalls eine Ärztin, eine Juristin und eine Pfarrerin tätig. Diese unterstützen und helfen den Frauen. Die meisten Frauen prostituieren sich auf Grund von Armut, so Mitarbeiterin Andrea Elle des Diakonischen Werkes Hamburg. Rund 80 Prozent der Prostituierten in St. Georg seien MigrantInnen aus Osteuropa. Der Anteil der Frauen sei größer als der der Männer, diese seien auch nicht so auffällig, da sie eher in Bars und Kneipen, hauptsächlich in der Rostocker Straße, tätig sind. Viele Abmachungen werden heute über Telefon oder Internet vereinbart.

Ein neues Leben nach der Prostitution ist schwer

Anschaffen zu gehen ist anstrengend und man ist ständigen Gefahren ausgesetzt. Auf dem Hansaplatz wird extrem viel polizeilich kontrolliert und viele Frauen bekommen Geldstrafen, wenn die während eines „Vertrages“ mit einer anderen Person erwischt werden. Manchmal geben sich auch Polizisten als Freier aus. Wollen die Frauen aussteigen und ein neues Leben beginnen bietet „Sperrgebiet“ ihnen Unterstützung. Eine ehemalige Prostituierte kann bis heute in einer kleinen Wohnung leben, die ihr von „Sperrgebiet“ zur Verfügung gestellt wird. Leider sei es enorm schwierig, ehemaligen Prostituierten eine Wohnung in Hamburg zu mieten, so Elle. Die Eigentümer der Wohnungen fänden das Projekt am Anfang immer sehr interessant, wollen einen Vertrag jedoch nicht eingehen. Sie hätten Angst, dass die Frauen dann ständig zu Hause Besuch bekommen und der alten Tätigkeit wieder nachgehen.

Zwei Löffel Vanilleeis und drei Peitschenhiebe auf den Hintern

Im Sado-Maso-Studio (SM- Studio) in St. Georg bekommen die Interessierten dann Einblicke in eine andere Welt: Diverse Pumps in Männergrößen und Perücken aller Farben, Dildos und Metallgeräte stehen in den Regalen. In einen Raum steht ein riesen Bett, in dem anderen ein Stuhl mit diversen Peitschen. Hier hat sich Undine ihr eigenes SM-Studio in St. Georg gemietet, eingerichtet und als Gewerbe angemeldet. 20 Jahre arbeitet sie nun als Sexarbeiterin mit dem Schwerpunkt Sadomaso und Fetisch. Bei ihr ist dieser Beruf nicht aus Armutsgründen sondern aus Interesse und Spaß entstanden. Außer ihr buchen noch zwei andere Frauen regelmäßig das Studio. Die Besucher dürfen die drei Frauen über eine Stunde zu ihrer Tätigkeit befragen.

Undine zum Beispiel hat Physik studiert und ist über einen Nebenjob in einer Peep-Show zum Sado-Maso gekommen. Männer geben ihr zum Teil Drehbücher, in denen genau steht, wie die nächste Stunde ablaufen soll. So will zum Beispiel der eine nach genau zwei Löffeln Vanilleeis drei Peitschenhiebe auf den Hintern. Die Frauen trennen ihr Privat- von ihrem Arbeitsleben und Katharina ist bei der Arbeit komplett jemand anderes als zu Hause bei ihrer Familie.  Dass sie Männer als Beruf schlägt, findet ihr 27-jähriger Sohn ziemlich cool. Extrem negative Erfahrungen haben die Frauen noch nie gemacht. Die Männer „ … sind doch total lieb“, so Katharina. Die Besucher sind begeistert und fragen viel. Rundgänge und Gespräche über Sexarbeit habe bei vielen auf jeden Fall ein neues Bild der Tätigkeit vermittelt. „Man sieht die Prostituierten jetzt irgendwie anders an“, so eine Frau mittleren Alters  nach dem letzten Rundgang.

Kommentare anzeigen (1)

1 Kommentar

  1. Ralf

    19. Februar 2014 at 18:05

    Sehr schön geschriebener und sachlicher Artikel. Die Sache mit dem Sperrbezirk sehe ich als Sauerei an. Die „Mädels“ gehören einfach zu St. Georg, wie seit jahrzenten. Als ich noch dort wohnte, waren lockere Gespräche zwischen den Mädels und AnwohnerInnen etwas ganz normales, ob beim Bäcker, im Imbiss oder in einer Kneipe. Man lebte und akzeptierte sich dort einfach gegenseitig.

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