Am Donnerstag wurde das durch das Bezirksamt Hamburg-Mitte in Auftrag gegebene Gutachten über den baulichen Zustand der vom Abriss bedrohten Esso-Häuser auf St. Pauli veröffentlicht. Aus dem Gutachten geht hervor, dass der Zustand von nahezu allen untersuchten Bauteilen kritisch ist. Sollte eine Sanierung nicht bald beginnen, müssen die MieterInnen in spätestens einem Jahr ihr Zuhause verlassen.
Von Dominik Brück & Isabella David
In geänderter Fassung zuerst veröffentlicht in der taz Hamburg am 14. Juni 2013.
Das Architekturbüro Dittert und Reumschüssel hat im Zeitraum von Januar bis Mai 2013 an 70 Stellen der Gebäude tragende Betonbauteile der sogenannten Esso-Häuser auf Schäden untersucht. Unter anderem bemängeln die Fachleute Risse in tragenden Elementen der Tiefgarage sowie einen hohen Feuchtigkeitsgehalt der Außenwände, der den Stahlbeton zunehmend angreift. Im Zuge der Untersuchungen wurden bereits im Februar die Balkone der Esso-Häuser gesprerrt. Vor allem in den Bereichen unter der Waschsstraße der Tankstelle seien die Schäden besonders groß. „Die Tiefgarage ist der Kernpunkt bei der Bewertung des baulichen Zustands der Esso-Häuser“, sagt die Gutachterin Christine Reumschüssel. Sowohl die Tiefgarage als auch die Häuser selbst seien am Limit ihrer Tragfähigkeit und würden weiteren Belastungen nicht standhalten. „Die Gebäude sind an den Grenzen ihrer Belastbarkeit. Eine Sanierung einschließlich einer neuen Dämmung würde jedoch eine erhebliche Mehrbelastung der Tragfähigkeit bedeuten“, sagt Reumschüssel weiter. Schon während einer Sanierung der Tiefgarage wären die Häuser selbst aus Sicht des Architektenbüros nicht mehr bewohnbar.
„Der bauliche Zustand der Esso-Häuser ist deutlich schlechter als befürchtet“, sagt Andy Grote (SPD), Bezirksamtsleiter in Hamburg-Mitte. Der durch den Eigentümer bevorzugte Abriss der Gebäude, verbunden mit einem Neubau auf dem Gelände, wird durch das Gutachten immer wahrscheinlicher. „Ein realistischer Spielraum für den Erhalt der Esso-Häuser ist kaum noch gegeben“, sagt Andy Grote. Sollte der Eigentümer, die Bayrische Hausbau, nicht bald mit den nötigen Sanierungsarbeiten beginnen, werde der Bezirk das Wohnen in den Esso-Häusern höchstens noch ein Jahr dulden. Allein für die Sanierung der Tiefgarage rechnet der Bezirk jedoch mit Kosten von mehr als 23 Millionen Euro. „Es ist unwahrscheinlich, dass der Eigentümer eine Sanierung als wirtschaftlich betrachtet“, sagt Andy Grote weiter. Als Sofortmaßnahme hat das Bezirksamt die Nutzung der Tiefgarage untersagt und fordert den Eigentümer dazu auf, sofortige Abstützungsmaßnahmen durchzuführen. Das Gutachten bestätigt, dass die fehlende Instandhaltung über einen langen Zeitraum eine Ursache für die Schäden an den Gebäuden ist. „Die Gebäude sind von uns instand gehalten worden, jedoch nicht in dem Umfang, wie dies erfolgen hätte müssen“, räumt Bernhard Taubenberger von der Bayrischen Hausbau ein. Es habe jedoch schon vor dem Kauf 2009 große Schäden an den Gebäuden gegeben.
Die BewohnerInnen der Esso-Häuser prangern an, dass der Eigentümer nun für die mangelnde Instandhaltung mit der Genehmigung des geplanten Abrisses belohnt werden soll. „Es ist vorhersehbar, dass die Bayrische Hausbau nun versuchen wird, anhand des Gutachtens einen Abriss unumgänglich scheinen zu lassen. Es gibt jedoch kein Gebäude, dass nicht sanierbar ist“, sagt Zlatko Bahtijarevic von der „Initiative Esso-Häuser„. Die Intiative hat sich immer wieder mit Aktionen für den Erhalt der Häuser eingesetzt. Im April demonstrierten tausende Menschen gegen einen Abriss der Gebäude am Spielbudenplatz. Auch viele prominente Hambuger, darunter die Musiker Udo Lindenberg und Jan Delay, unterstützen in einem Manifest den Erhalt der Gebäude. „Die Politik muss sich hier für die Menschen einsetzen, sonst bedient sie nur die Profitinteressen des Investors“, sagt Andi Schmidt, Mitglied der Initiative. Die Bezirkspolitik hat bereits angekündigt, im Falle eines Abrisses die Interessen der MieterInnen schützen zu wollen. „Der Investor soll den einstimmigen Beschluss der Bezirksversammlung aus Februar 2012 endlich umsetzen“, sagt Falko Droßmann, Fraktionsvorsitzender der SPD. Darin wird ein Rückkehrrecht der MieterInnen und einen Anteil günstigen Sozialwohnungen, der zumindest dem Umfang der heutigen Wohnbebauung entspricht, gefordert. „Nach einem ersten Blick in das Gutachten steht fest, dass nun vor allem miteinander gesprochen werden muss. Gerade auch die Anwohnerinnen und Anwohner und Gewerbetreibende vor Ort müssen in diesen Prozess aktiv eingebunden werden und Gestaltungsideen mit einbringen dürfen“, sagt Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Hamburg-Mitte. Die Bezirksfraktion der Grünen macht sich in einem Postionspapier dafür stark, alle Möglichkeiten des Erhalts eingehend zu prüfen und fordert in Falle eines Abrisses mindestens 50 Prozent sozialen Wohnungsbau, keinen Bau von Eigentumswohnungen und eine umfassende Beteiligung der BewohnerInnen und des Stadtteilrates an den Planungen.
Für die BewohnerInnen der Esso-Häuser geht es um mehr als günstige Mieten und den Erhalt ihres Zuhauses. Für sie geht es auch um den Charakter ihres Viertels, die Frage, wie St. Pauli in Zukunft aussehen soll – und darum, wer darüber entscheidet.
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