Stadtgespräch

Die Schanze war nicht immer hipp

Stadtgespräch
Janina Marie Krupop

*1988 | BA in Rechtswissenschaften | studiert derzeit Master Internationale Kriminologie in Hamburg | Email: krupop@hh-mittendrin.de

Ein Rundgang mit dem St. Pauli Archiv lohnt sich nicht nur für Geschichtsinteressierte. In zwei bis zweieinhalb Stunden wird Stadtteilgeschichte anschaulich gemacht. Am Sonntag führte eine Tour durch das Schanzenviertel, das erst seit 2008 nicht mehr zu Hamburg-Mitte gehört – nicht die einzige prägende Veränderung des Stadtteils.

Carl Hagenbecks Affen sind im Schanzenviertel öfters mal ausgebrochen und bedienten sich an den Küchen der Anwohner. Diese und viele andere Geschichten kann Hans-Martin Kühnel vom St. Pauli Archiv am laufenden Band berichten. „…und abends in die Flora“ heißt der Rundgang, der sich überwiegend mit der Stadtentwicklung des Schanzenviertels beschäftigt und viermal jährlich stattfindet. Von der S-Bahn Sternschanze führt Hans-Martin Kühnel über die Schanzenstraße zum Mont Blanc Café, über das Schulterblatt und hin zur Flora, während er über die Veränderungen des Stadtteils berichtet.

Seit der Gründung  des St. Pauli Archivs 1987 setzen sich die 12 Mitarbeiter vor allem mit der Geschichte des gleichnamigen Stadtteils auseinander. Bis 2008 gehörte auch das heutige Schanzenviertel zu St. Pauli. Aus diesem Grund führen auch heute noch Rundgänge des Archivs durch den Stadtteil, der heute zum Bezirk Altona gehört. Insgesamt gibt es in 17 verschiedenen Stadtteilen Hamburgs Archive und Geschichtswerkstätten, die als Vereine organisiert sind und die Vergangenheit des Stadtteils aufbereiten.

Bei einem Espresso im Mont Blanc Café beginnt der Rundgang, der die wechselhafte Geschichte des Schanzenviertels erzählt und zeigt, wie sich die Schanze vom Arbeiterquartier zum Szenestadtteil entwickelt hat. Kühnel zeigt zunächst Stadtkarten aus verschiedenen Jahrhunderten. Auf einer Karte von 1741 ist ein großer Stern eingezeichnet, der den Wasserturm markiert, der dem Stadtteil seinen Namen verleiht und damals noch zur Verteidigungsanlage gehörte. Bis 1863 wurde in dem Gebiet des heutigen Schanzenviertels wenig gebaut. Weil Altona dänische Kolonie war, befürchtete Hamburg immer wieder Angriffe von Seiten der Dänen. Erst als Altona an Preußen fiel, begann man mit dem Ausbau von Gewerbe und Wohnungen. Das Schanzenviertel wurde fortan stark vom Schlachtgewerbe bestimmt. Messerschleifer und Gewürzfabriken boomten im 19 Jahrhundert. Aber auch andere Gewerbe siedelten sich an. Das Mont Blanc Café heißt so, weil die berühmten Mont Blanc Füller hier seit 1912 produziert wurden. Zwischen der Apotheke am Pferdemarkt und dem Café Pastelaria lag der ursprüngliche Eingang zu Carl Hagenbecks Tierpark. Doch insgesamt fand man in der Schanze wenig Glanz und angesagte Locations. Die Häuser waren billig und in schlechten Zuständen, bewohnt von Arbeitern. „Hier wohnten die armen Leute, für die hat man kein Geld ausgegeben“ sagt Kühnel.

Mitte der 1980er Jahre kam es zu Veränderungen. Die Gewerbebetriebe zogen weg und auch die Füller wurden nicht mehr hier produziert. Das Schanzenviertel sollte eine besser verdienende Bevölkerungsschicht anziehen und saniert werden. Verschiedene Projekte waren in Planung. So sollte auf dem Heiligengeistfeld eine Sportarena entstehen und ein Theater geschaffen werden, um das „Phantom der Oper“ aufzuführen. „Damals sagte man umstrukturieren, heute nennt man das gentrifizieren“ erklärt Kühnel. Der Widerstand im Stadtteil war jedoch zu groß und die geplanten Bauprojekte ließen sich nicht realisieren. Die Bewohner wollten keine derartigen Veränderungen, sie fürchteten steigende Mieten und protestierten gegen die Pläne. Als Kompromiss kaufte die Stadt das Mont Blanc Gelände. Ein Kino, die Volkshochschule und Sportzentrum entstanden. „Alles mit dem Gedanken, das Viertel sozialverträglicher zu machen“, sagt Kühnel.

In der Folgezeit zogen vermehrt Studenten und kreative Menschen in das Schanzenviertel. In Wellen siedelten sich verschiedene Gewerbebetriebe an. Aufgrund der sogenannten Friseurwelle gibt es in kaum einem anderen Stadtteil so viele Friseure, wie in der Schanze. Auch Telefongeschäfte entstanden schlagartig, dann wieder Backshops und Bäckereien. Im Jahr 2000 gab es über 100 kleine Medien und IT-Läden. „Es war auch nicht immer so laut hier“, erinnert sich Kühnel, „aber heute entstehen überall Cafés, Bars und Kioske.“ Die Schanze hat sich zum beliebten Stadtteil entwickelt. Tatsächlich steigen die Mieten immer weiter und immer mehr Teile der alten Bewohnerschaft werden verdrängt.

Der Rundgang endet an der Flora. Die Geschichte des wohl berühmtesten Hauses im Viertel wird ausführlich geschildert. Stadtteilführer Kühnel zeigt alte Fotos, die die Entwicklung bebildern. Angefangen hat alles mit einem kleinen Tivoli 1850. Später wurde es zum prunkvollen Theater mit Platz für 6000 Menschen. In den 1960ern war das Gebäude kurz ein Kino, schließlich zog das Geschäft  „1000 Töpfe Geschäft“ ein. Als der Musical Produzent Friedrich Kurz 1987 eine Spielstätte aus dem Gebäude machen will, kommt es zu heftigen Protesten. „Da sind Anwohner demonstrieren gegangen, die noch nie zuvor auf einer Demo waren“ schildert Kühnel das damalige Geschehen. Sogar anliegende Gewerbebetriebe wie die Stenzel Bäckerei reichen Petitionen ein, um den geplanten Bau zu verhindern. Die Anwohner können sich durchsetzen, es wird keine neue Spielstätte gebaut. Die Flora wird zu einem kulturellen und politischen Stadtteilzentrum. Mehrmals im Jahr gibt es dort auch einen Tag der offenen Tür. Wer will, kann sich dann selbst ein Bild von dem graffitireichen Innenleben und der spannenden Geschichte des Hauses machen.

Die Konflikte um die Flora und das Schanzenviertel sind jedoch auch heute noch nicht abgeschlossen. Immer wieder kommt es zu Diskussionen über einen möglichen Verkauf der Flora, der wahrscheinlich ein Ende des Stadtteilzentrums zur Folge hätte. Auch die Diskussionen um die Gentrifizierung des Stadtteils gehen weiter. Im März 2013 trat eine Soziale Erhaltensverordnung für die Sternschanze in Kraft. Von diesem Instrument hat die Stadt bereits in St. Georg und St. Pauli Gebrauch gemacht, um beispielsweise die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen oder Luxussanierungen und damit verbundene Mieterhöhungen zu verhindern. Die Verdrängung alteingesessener Schanzenbewohner soll auf diesem Weg beendet werden. Wie erfolgreich die Bemühungen der Stadt sind, kann derzeit noch niemand beurteilen.

Wer sich selbst ein Bild von den Entwicklungen im Schanzenviertel machen will, kann dies auf dem nächsten Rundgang des St. Pauli Archivs tun. Der nächste „…und abends in die Flora“ Rundgang findet am 29. September statt. Bis dahin können Interessierte aber auch so im St. Pauli Archiv vorbeikommen und in den Beständen, Fotos und Postkarten über die Geschichte des Stadtteils stöbern.

Bild: von Ajepbah (Eigenes Werk) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3

Kommentare anzeigen (1)

1 Kommentar

  1. Peter

    27. Juni 2013 at 12:47

    Sehr schöner Artikel. Man bekommt richtig Lust auf den Rundgang.

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