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Unschuld verloren. Ein subjektiver Blick auf Hamburg.

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Mittendrin ist das Online-Nachrichtenmagazin für den Bezirk Hamburg-Mitte. Auf unseren Seiten stellt ein junges Team von Redakteuren aktuelle und spannende Geschichten aus dem Herzen Hamburgs für unsere Leser zusammen.

Foto: Jonas WalzbergIn einem Gastkommentar für Mittendrin beschreibt die Künstlerin Susanne Sölter, wie sie die Entwicklungen in ihrer Heimatstadt Hamburg empfindet. Ein kritischer Blick auf die verschiedensten Themen – nicht nur aus dem Bezirk Hamburg-Mitte.

von Susanne Sölter

Wer in Hamburg geboren und aufgewachsen ist, hat einen kritischen Blick auf seine Stadt – vielleicht kritischer als manche Zugereiste. Losgelöst von allen Selbstbeweihräucherungen Hamburger Medien, kann man sicher behaupten, die Stadt sei schön, ja, sogar sehr schön. Das liegt aber gewissermaßen „gottgegeben“ an ihrer geographischen Lage mit Elbe und Alster, ihrer folgerichtigen Historie,  ihrem Grün dank des Klimas –  und konkret an Hafen und Speicherstadt. Bekanntlich prägen Handel und Wassernähe eine Stadt, die Mentalität seiner Bewohner, seine  Architektur und Stadtteile.

Hanseatischer Handschlag

Die Hamburger Mentalität ist eben diesem Handel und Kaufmannsgeist zu verdanken –  mit allen positiven und negativen Auswirkungen. Und da ist bekanntlich der Hanseat sowohl verlässlich, wenn ein Vertrag per Handschlag zustande kommt (so hört man) – aber auch konservativ, was Prestige und Kultur angeht. Aber wir wissen auch, dass Wohlstand satt und starr macht, obwohl der Horizont einer Freien und Hansestadt eigentlich offen sein sollte.  Auch Sinnlichkeit ist für konservativen Kaufmannsgeist eher ein Fremdwort, was man als Restaurantgast vom Nebentisch manchmal so mitkriegt. Eigentlich ein Wiederkäuen, dass zwar Prestige-Objekte und –Bauten teuer finanziert werden, soziale und kulturelle Aktivitäten aber darunter leiden und teilweise nur noch durch freiwilliges Engagement und Ehrenamt am Leben erhalten werden können. Der Hanseat unterteilt Kultur schon gerne mal in hoch und niedrig, er besucht Theater, Oper und Kunsthalle eher aus gesellschaftlichen Gründen, als aus Lust und Spaß an der Inszenierung.  Aktive Stadt(teil)kultur,  Künstler, Kleinkunst und no-name-Lesungen werden da von den einschlägigen Leuten eher schräg angeschaut.

Bank & Luft bezahlen

Ob die Bank zum kurzen Verschnaufen vor dem Zigarettenkiosk überhaupt erlaubt ist? Nein, sie muss weg – oder ihr Platz bezahlt werden, Fahrradständer vor Läden kosten, ja, selbst für ein Namensschild, was in die Straße hineinragt, wird so genannte Luftsteuer verlangt. Schildbürger lassen grüßen. Man fragt sich, wo soviel Geld bleibt und wofür es ausgegeben wird. Gottseidank hat sich inzwischen in manchem Stadtteilleben seit mindestens dreißig Jahren viel getan, was aber inzwischen wieder gegenläufig scheint:  Verbote wie oben begegnen einem überall. Beim Autoverkehr indes, sind keine weiteren Regelungen vorgesehen, von Verboten ganz zu schweigen: Das Zu-Parken mancher Straßen zu Lasten der Anwohner ist ein Problem, gerade auch in angesagten Stadtteilen. Hier kann manchmal kein Rollstuhl durch kommen,  dafür aber wird das Park-Problem generell auf die lange Bank geschoben. Auch wenn ein Künstler sich etwa sozio-kulturell engagieren will, gibt es nur sehr wenige Stellen, die  beraten, helfen und unterstützen könnten für solche engagierte und wichtige Arbeit. Initiativen dieser Art werden nur noch selten subventioniert und selbst in so genannten Brennpunkt-Gegenden geschlossen. Dafür werden deren Räume an besser bezahlende Galeristen gegeben und so weiter. Die Große Bergstraße ist nach der Sanierung genauso gesichts- und charakterlos wie eh und je, und klar, dass man Ikea dort ansiedelt, passt wie die Faust aufs Auge. Die Folgen sind für eine ehemalige Umwelthauptstadt egal, von größerem Verkehrs- und Lärmaufkommen, baulicher und sonstiger Beliebigkeit ganz zu schweigen Überall gibt es „Feigenblätter“ wie Diskussionskreise mit Bürgern und Künstlern, die bei baulichen Vorhaben angeblich mitreden sollen. Meist bleibt davon wenig übrig.

Priorität Tourismus

Es ist bekannt, aber in diesem Zusammenhang doch immer wieder verblüffend, wie dieses freie Hamburg dieser Logik folgend, freie Kunstschaffende nicht auf dem Zettel hat. Aktuelles Beispiel: Das große neue Projekt auf dem Kiez an und hinter der Simon-von-Utrecht-Straße wird ja vollmundig gelobt von wegen bezahlbarer Wohnraum, Durchmischung und so weiter. Mit allen Namen, die der Kiez so hergibt, wird das Richtfest des Riesenbaus an der Simon-von-Utrecht-Straße gefeiert, man schaut in glänzende Augen all-überall, es werden andächtige Reden gehalten, und man kann es manchmal nicht fassen, dass nicht ein Mensch mal etwas Kritik zum Ausdruck bringt. Danke, liebe Hamburger Lokal-Presse. Kritik etwa daran, dass zwar Ateliers für Künstler entstehen, aber natürlich mehrheitlich für solche, die für die  AIDA-Schiffe arbeiten, die also vorher in der StageSchool in der Seilerstraße probten, schneiderten, tanzten. Schön und gut, AIDA bringt natürlich Geld auch fürs Umfeld, dank der luftverpestenden Meeresriesen, die in Scharen in den Hafen kommen und Touristen anziehen wie Motten das Licht.  Dennoch: Es fehlen ganz normale bezahlbare Werkstätten für ganz normale Künstler, Künstlergemeinschaften jeglicher Art. Dabei werden in diesem Gebäude- Koloss  angeblich auch Existenzgründern Ateliers angeboten, man fragt sich, was nun diese Schublade wieder soll – oder ob es wieder einmal eher Alibi ist.…  Abgesehen davon, dass die architektonische Optik dieses schalldämpfenden „Riegels“ von baulichem Klotz (weil dahinter Wohnraum gebaut wird) alles andere als ästhetisch ist. Man weiß nicht, ob hier je ein Künstler einbezogen wurde, denn es wird ein orangefarbener Riese, der angeblich „das Bunte des Stadtteils“ widerspiegeln soll. Hätten da nicht auch diesbezüglich hiesige Künstler einbezogen werden und Originelleres für die Fassaden planen können?

Ketten Kunst & Charisma

Nun steht das andere Riesenprojekt auf dem Kiez an, etwas weiter in Richtung Karoviertel am Neuen Kamp, die Rindermarkthalle. Und – ei, da kann jeder einmal wieder raten – wer und was soll hier einziehen? Naja, auf jeden Fall kein Künstler, sondern Branchen mit kommerziellen Zielen. Neuerdings geht die Sage um, dass da doch noch ein kleinster (und unattraktiver) Teil frei wäre für andere Stadtteil-Aktivitäten, aber das ist eine andere Geschichte, denn das Engagement hält sich aufgrund bitterer Erfahrungen vieler Engagierter dieser Szene, in Grenzen.  Nun darf man denn gespannt sein, wie das neue „Altona Mitte“ an der Harkortstraße aussehen wird. Tja, so ist das, wenn man sieht, wie die Geburtsstadt immer charakterloser wird, sowohl innerlich als auch äußerlich, wenn Architektur eher Ingenieurs-Arbeit ist aus Kostengründen, wenn das Eigene, Charismatische bald nicht mehr existiert und auch Künstler vor lauter Kampf ums Tägliche kaum noch arbeiten und Aussagen treffen können. Man kann nur hoffen, dass hier nicht so eine idyllisch-spießige Stadt wie etwa Genf (oder ähnliche Städte dieser Art woanders) mit all seinem Geldadel und tollen, teuren Konzerten entsteht. So entfernt sich Politik mehr und mehr dem normalen Leben, raubt der Kommerz die Unschuld unserer Städte. Aber bitte in homöopathischen Dosen.

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