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Flüchtlingsunterbringung: „Keine Last für Billstedt“

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Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

Die Unterbringung von 60 Flüchtlingen in einer ehemaligen Schule sorgt in Billstedt für Aufregung. Am Dienstag wurden die Pläne im Regionalausschuss vorgestellt. Einige Bürgerinnen und Bürger und einzelne Bezirkspolitiker griffen die Vertreterin der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) scharf an.

Aufgrund des erwarteten Andrangs wurde der Regionalausschuss Billstedt in den Kulturpalast verlegt. Der Raum ist mit rund 200 Menschen bis auf den letzten Platz besetzt. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger können nur noch einen Stehplatz ergattern. Die dichtgedrängten Menschen sorgen für eine drückende Wärme im Sitzungssaal. Auch die Gemüter sind erhitzt. Mehrfach muss die Vorsitzende Hildegard Jürgens, Bürgerschaftsabgeordnete der SPD, um Ruhe bitten. Immer wieder stören Zwischenrufe die Sitzung.

Das ehemalige Schulgelände am Osteinbeker Weg ist seit Monaten Streitobjekt zwischen dem Bezirk Hamburg-Mitte und der BASFI (Mittendrin berichtete). Auf dem Gelände will der Bezirk so schnell wie möglich ein Neubaugebiet errichten. Die Bezirksversammlung spricht sich daher gegen die geplante Zwischennutzung des Schulgeländes als Flüchtlingsunterbringung aus. „Wir wollen hier familien- und eigentumsorientierten Wohnraum entwickeln und das schnell“, erklärt Michael Mathe vom Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung. 60 bis 70 Einfamilienhäuser sollen hier entstehen. Das Projekt war lange Zeit verzögert worden, da unklar war, ob der Schulstandort weiter benötigt wird. Ende 2012 erfolgte die Freigabe der Finanzbehörde. Im Februar 2013 stimmte der Stadtplanungsausschuss dem Bauplanungsverfahren zu. Anfang 2015 sollen die Bauarbeiten beginnen.

Die BASFI will von Juni 2013 bis zum Beginn der Arbeiten den ehemaligen Verwaltungstrakt der Schule als Unterbringung für Flüchtlinge und Wohnungslose nutzen. 60 Menschen sollen als Übergangslösung hier untergebracht werden, bis die Stadt eine dauerhafte Unterkunft gefunden hat. „Wir werden den Wohnungsbau hier nicht verhindern. Wenn die Arbeiten beginnen werden wir die Menschen an einem anderen Ort unterbringen“, sagt Bettina Prott von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. „Wir benötigen das Gelände als Zwischenlösung, da die Zahlen der Hilfsbedürftigen stark angestiegen sind. Ohne dieses Gelände müssten wir die Menschen in Zelten oder Containern unterbringen“, so Prott weiter. Auch Martin Leo, der bei dem Träger „Fördern und Wohnen“ für die Planung der Unterkunft zuständig ist, appelliert an den Stadtteil die Hilfesuchenden zu untersützen. „Wir gehen dorthin, weil die Not derzeit sehr groß ist“, sagt Leo. Auf eine genaue Dauer der Nutzung will sich die BASFI nicht festlegen, sondern orientiert sich an dem Fortschritt des Bauplanverfahrens. „Diese Verfahren können oft sehr lange dauern, daher werden wir die Unterkunft solange nutzen, bis die Bauarbeiten beginnen können“, sagt Bettina Prott. Dieser Erfahrung stimmt auch Michael Mathe vom Bezirk zu. Der vorgelegte Zeitplan geht von einem Verlauf ohne größere Zwischenfälle aus. „Der Zeitplan ist sehr ambitioniert und basiert auch darauf, dass wir uns schnell mit den Bürgern einig werden“, sagt Michael Mathe. Spätestens wenn der Abriss der Gebäude auf dem ehemaligen Schulgelände im Rahmen des Planverfahrens ansteht, wird die Nutzung durch die BASFI enden müssen.

Einige der anwesenden Bürgerinnen und Bürger wollen den Argumenten, die von der Behörde vorgetragen werden, nicht glauben. Viele fühlen sich an die Flüchtlingsunterbringung am Mattkamp erinnert. Die Behörde hatte damals versprochen, dass die Unterbringung für fünf Jahre bestehen würde. Heute besteht die Einrichtung seit zwanzig Jahren in Billstedt. Die Bürgerinnen und Bürger machen ihrem Ärger Luft. Redebeiträge von Bettina Prott und Martin Leo werden regelmäßig durch Zwischenrufe aus dem Publikum unterbrochen. „Sie wollen uns die vor die Tür setzen, wir haben genug davon“, schreit eine Frau. Ein älterer Herr springt auf und brüllt: „Die müssen doch nicht herkommen!“ Die aufgebrachten Bürger sehen sich als Opfer der Behördenentscheidung. „Alle, die um diese Schule ihr schönes kleines Häuschen gebaut haben, zittern jetzt und haben Angst“, ruft eine ältere Frau. Die Luft im Kulturpalast scheint von Vorurteilen durchtränkt. Sachliche Argumente der Behördenmitarbeiter werden niedergeschrien. „Ich bin entsetzt über die Stimmung. Solche Wortbeiträge sind Einfalltore für rechte Gesinnungen“, sagt Renate Hercher-Reis, Bezirksabgeordnete der Linken.

Hildegard Jürgens beschwichtig ein ums andere Mal die Bürgerinnen und Bürger: „Es liegt an ihnen, wie sie die Menschen hier empfangen“. Der Großteil der anwesenden Fraktionen stellt sich auf die Seite der aufgebrachten Bürgerinnen und Bürger. „Wir unterstützen ausdrücklich die ablehndende Haltung der Anwohnerinnen und Anwohner. Wir fordern ein klares Bekenntnis zu dem vorgelegten Zeitplan von der BASFI“, sagt Kerstin Gröhn, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Michael Osterburg, Fraktionsvorsitzender der Grünen, greift die Behörde mehrfach scharf an. „Sie reden viel, aber sagen wenig. Wir fordern ein Gesamtkonzept für Hamburg, dann sind wir bereit in Billstedt weitere Lasten zu tragen“, sagt Osterburg. Die CDU setzt sich unterdessen insbesondere für den zügigen Bau von Einfamilienhäusern ein. „Wir haben in Billstedt genügend Flächen für sozialen Wohnungsbau und brauchen hier nicht mehr davon“, sagt Carsten Rohde, Bezirksabgeordneter der CDU. Die Argumente der FDP zielen auf die Verteilungsgerechtigkeit von öffentlichen Unterbingungen innerhalb Hamburgs. „Ich bin für gesamtstädtische Solidarität, aber man muss einfach genauer hinschauen wo man Unterkünfte einrichtet“, sagt Bernd Ohde, Fraktionsvorsitzender der FDP. Nur die Linke und die Piraten äußern sich positiv über die geplante Unterbringung. „Es kann doch nicht unser Ziel sein, dass diese Menschen in Containern oder Zelten untergebracht werden müssen“, appeliert Renate Hercher-Reis (Linke) an die Anwesenden.

Die lautstarken Bürgerinnen und Bürger, die die Aussagen der Politiker gegen die Unterbringung mit tosendem Beifall honorieren, scheinen jedoch insgesamt in der Minderheit zu sein. Ein Großteil der Anwesenden greift nicht in die Debatte ein. Gegen Ende der Diskussion zeigt eine junge Frau, dass unter den Bürgerinnen und Bürgern auch klare Befürworter der Flüchtlingsunterbringung sind. „Diese Menschen sind keine Last, sie tragen eine Last, von der kaum einer hier etwas versteht. Ich weiß nicht wohin ich mich wenden soll, daher bitte ich die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, nehmen sie diese rassistiche Stimmung hier wahr und handeln sie“, sagt die 20-Jährige. Das Entrollen eines Banners mit der Aufschrift „No border, no nation“ durch weitere junge Menschen wird schnell unterbunden. Ein Mann aus dem Publikum meldet sich zu Wort und unterstützt die junge Frau. „Ich kann den Parteien hier nur Verantwortungslosigkeit vorwerfen. Sie machen sich zu Sprechern einer Stimmung, die gefährlich ist“, sagt er.

Auch der lautstarke Protest einiger Anwohnerinnen und Anwohner wird nicht verhindern können, dass ab Juni Flüchtlinge und Wohnungslose im Osteinbeker Weg untergebracht werden. Der geplante Wohnungsbau wird hierduch kaum beeinträchtigt werden. Die BASFI sucht bereits nach langfristigen Lösungen, die auch für die Flüchtlinge bessere Lebensbedingungen bieten, als die Übergangslösung in Billstedt. Ein Gesamtkonzept für die nachhaltige Unterbringung wurde der Bürgerschaft bereits vorgelegt. „Hilfesuchende sollten in kleinen, dezentralen Einrichtungen in Wohngebieten untergebracht werden, um eine gute Integration zu ermöglichen. An solchen Projekten arbeiten wir“, sagt Martin Leo von „Fördern und Wohnen“.

Kommentare anzeigen (3)

3 Kommentare

  1. Heike Dahlgaard

    27. Februar 2013 at 12:41

    Hallo Dominik, vielen Dank, das nenne ich eine tolle Berichterstattung! Ausgewogen, realitätstreu und trotzdem nicht kühl und herzlos und das ganz ohne Kommentar. Und dann noch zeitlich aktuell – alle Achtung! Viele Grüße von Heike Dahlgaard

  2. Pingback: Kommentar: Hamburgs große Schuld | Mittendrin | Das Nachrichtenmagazin für Hamburg-Mitte

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