Politik

„Eine Kriegserklärung an unsere Stadt!“

Politik
Dominik Brück
@dobrueck

| M.A. Politikwissenschaft | E-Mail: brueck@hh-mittendrin.de

„Über sieben Brücken musst du gehen“ schallt es am Dienstagabend über die Lange Reihe in St. Georg. Mitten auf der sonst so viel befahrenen Straße ist aus Gerüstböden und Pappkartons ein Laufsteg entstanden. Eine kleine Brücke, die Jürgen Wohlers unter dem tosenden Beifall der Menge rund um die Konstruktion überquert. Dreihundert Menschen sind zusammengekommen, um für ihn und seine Buchhandlung zu kämpfen. Die symbolische Brücke soll einen echten Weg eröffnen das Traditionsgeschäft vor der Schließung zu bewahren.

Die Buchhandlung Wohlers ist nach 79 Jahren zu einem Stück St. Georg geworden. Aufgrund der drastischen Mieterhöhung durch die Immobilienfirma Jendrusch und Partner von bisher 1400 Euro auf 4300 Euro monatlich droht dem kleinen Laden, den Jürgen Wohlers in dritter Generation führt, zum Jahresende das Aus. Zu hoch ist die Mietforderung. Ein Schicksal, dass in der Langen Reihe schon andere Geschäfte, wie den Kräuterladen und das Café Due ereilt hat. „Das sind alles die Folgen der Aufwertung des Stadtteils. Die Lange Reihe hat sich stark verändert, da durch die hohen Mieten viele traditionelle Geschäfte verschwunden sind“, sagt Rolf-Gerd Goretzki, der seit dreißig Jahren im Stadtteil lebt.

Doch die Bürgerinnen und Bürger von St. Georg wollen ihre Buchhandlung nicht auch noch hergeben. Bereits zum siebten Mal haben sie sich versammelt, um Frank Jendrusch aufzufordern, seine Mietforderung zu senken. Auch prominente Unterstützung aus dem nahegelegenen Schauspielhaus ist dieses Mal gekommen. Stefan Schad, aus dem Ensemble des Theaters, erklärte in seiner Ansprache die Solidarität des Schauspielhauses mit der Buchhandlung und forderte die Stadt auf endlich zu handeln: „Eine Stadt ist mehr als eine Spekulationsblase, sie ist Lebensraum. Daher ist ein Angriff auf Wohlers eine Kriegserklärung an unsere Stadt“.

Auch die Einwohner von St. Georg hatten in den vergangenen Wochen viele starke Worte gefunden, um Jürgen Wohlers Mut zu machen und Jendrusch zum Einlenken zu bewegen. Meret Steen hatte drei Wochen lang täglich vor dem Laden ausgeharrt und Passanten gebeten Kommentare in ihr Protesttagebuch zu schreiben. Rund vierzig Seiten Text sind so zusammengekommen, die eine gemeinsame Botschaft verkünden: „Wohlers bleibt!“

Das Tagebuch wird noch bis Ende des Jahres in der Buchhandlung ausliegen und jedem die Möglichkeit geben Solidarität mit Jürgen Wohlers zum Ausdruck zu bringen. Zusätzlich sind bald neue Protestaktionen für den Erhalt des kleinen Gewerbes geplant. Der nächste Termin wird eine Solidaritätslesung mit dem Kinderbuchautor Wolf Erlbruch am 18. Oktober im Kulturladen St. Georg sein.

Es scheint als müssen noch viele weitere Veranstaltungen und Proteste folgen, damit St. Georg auch nach dem Ende des Jahres noch bei Jürgen Wohlers schmökern und kaufen kann. Am Dienstag musste Wohlers erneut allein über die errichtete Brücke schreiten. Frank Jendrusch, der bereits dem einberufenen Runden Tisch ferngeblieben war, scheint erneut nicht bereit den angebotenen Brückenschlag zu akzeptieren.

Kommentare anzeigen (2)

2 Kommentare

  1. Michael Joho

    10. Oktober 2012 at 08:34

    Lieber Dominik Brueck,
    ein schöner Artikel, das! Danke für stimmungsvolle Wiedergabe der Situation in St. Georg und der Aktivitäten vor Ort.
    Zwei, drei Kleinigkeiten muss ich als Veranstalter aber noch anmerken. Die sieben Brücken, über die zu gehen wir den Miethai Frank Jendrusch zu gehen aufforderten, waren nicht sieben Kundgebungen unter freiem Himmel, sondern eine Demo am 6.6. mit über 800 TeilnehmerInnen, drei „Lesekundgebungen“ vor der Buchhandlung an der Langen Reihe 68/70 und dem Vermieterbüro am Hansaplatz 1, eine Sammlung von 2.000 Unterschirften in gerade einmal zehn Tagen, ein einstimmig gefasster Stadtteilbeiratsbeschluss zum Erhalt des Buchladens und eben gestern – als siebte Aktion – die neuerliche Aktion. Im Übrigen ist aus meiner Sicht – naturgemäß – nicht unwichtig und also erwähnenswert, dass in allen sieben „Fällen“ der Einwohnerverein St. Georg von 1987 e.V. Urheber war.
    Beste Grüße
    Michael Joho

  2. Dominik Brück

    Dominik Brueck

    10. Oktober 2012 at 13:57

    Lieber Herr Joho,

    der Dank muss von uns kommen, da sie mit ihrem Engagement ein Stück Hamburg bewahren! Natürlich freue ich mich auch, dass ihnen der Artikel gefällt und auch über ihre Ergänzungen. Es stimmt natürlich, dass eine Erläuterung der bisherigen Aktionen des Einwohnervereins noch Platz in dem Artikel gehabt hätte. Ich hoffe auch in Zukunft über den Verein und den Stadtteil berichten zu können und freue mich auch weiterhin über Kritik und Anregungen von ihnen.
    Viele Grüße nach St. Georg!

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